Na, wie viele Verabredungen haben Sie ausgeschlagen und wie viele Abende haben Sie den Fernseher nicht angemacht seit letzter Woche? Weil Sie lieber schreiben wollten. 

Die beste Antwort wäre natürlich, Sie haben keine einzige Einladung angenommen und den Fernseher nicht ein einziges Mal eingeschaltet.

Nein, das erwartet niemand von Ihnen. Das wäre unrealistisch. Man braucht einfach den Kontakt zu Freunden oder die Entspannung vor dem Bildschirm bei einer eventuell nicht allzu anspruchsvollen Serie. Ich habe beispielsweise die »Desperate Housewives« geguckt. 

Die verzweifelten Hausfrauen sind auch ganz interessant als Vorlage. Weil es dort eben hauptsächlich um Frauen geht, wenn auch meistens um Heterofrauen. Bis auf die lesbische Stripperin. Eine witzige Idee der Drehbuchautoren.

Konnten Sie die Aufgabe der letzten Woche bewältigen? Die Verlorenheit in einer Liebesbeziehung? Wie verloren haben Sie sich beim Schreiben gefühlt?

Als ich »Desperate Housewives« sah, kam es mir auch so vor, daß dort Verlorenheit in Liebesbeziehungen, Enttäuschungen, nicht erfüllte Erwartungen, hohe Ansprüche und der tiefe Fall in die Realität immer wieder Thema sind. Fast ausschließlich.

Deshalb ist es wohl auch ein Thema, über das jeder schreiben kann. Wir haben das alle schon einmal erlebt. Viele haben sich wahrscheinlich nicht getraut, ihre Verlorenheit in einem Text hier darzustellen, aber empfunden hat das wohl schon jede von uns einmal.

Wann fand die Enttäuschung statt? Erst nach einer Weile, nach Wochen, Monaten, Jahren, oder schon gleich zu Anfang, wie hier:

„Du gehst schon?“ fragte Nora, immer noch nackt und benommen von dem, was die andere eben in ihr ausgelöst hatte: War das überhaupt noch ein Orgasmus gewesen oder mehrere – oder ganz etwas anderes?
„Das Schöne an One-night-stands ist, daß man sich zu nichts verpflichtet fühlen muß.“ Sam lächelte freundlich – nicht verliebt, nicht mit besonders viel Sympathie, sondern einfach nur freundlich, wie zu einem Kind, zu dem man nett ist, oder einem Hund, dem man den Kopf tätschelt – drehte sich um und ging.

Ja, so kann''s gehen. Und nach einer längeren Zeit sieht es dann vielleicht so aus:

„Bitte ruf mich nicht an und schick mir keine Blumen“, sagte sie. Sie legte das Geld für ihren Kaffee auf den Tisch, erhob sich und verließ das Straßencafé, wo eben noch die Sonne geschienen hatte und nun eine dunkle Wolke sich vor die hellen Strahlen schob.
Oder kam mir das nur so vor? War die Sonne immer noch genauso warm, und ich spürte sie nur nicht mehr?
Wie in Trance sammelte ich ein paar Münzen aus meiner Tasche zusammen und legte sie neben die von ihr auf den Tisch. Nicht einmal den Kaffee hatte sie mich für sie bezahlen lassen.
Ich stand auf, sah noch einmal auf die einsamen Münzen hinunter, die sich aber sicherlich immer noch nicht so einsam fühlten wie ich, drehte mich um und ging in die andere Richtung davon.

Am schwierigsten ist es wohl immer, wenn man erfährt, daß man betrogen wird oder wegen einer anderen Frau verlassen werden soll. Das war das, was Hanna Berghoff in ihrem Beitrag so eindrucksvoll beschrieben hat. Wenn die Liebe vorbei ist, man es aber einfach nicht gemerkt hat. Weil die eigene Liebe noch besteht. Nur bei der geliebten Frau hat sie sich verflüchtigt.

Es gibt aber auch andere Arten von Verlorenheit, die nicht unbedingt etwas mit einer Liebesbeziehung zu tun haben. Es gibt beispielsweise auch die Verlorenheit, mit seinem Leben nicht so recht etwas anfangen zu können, nicht zu wissen, was man tun soll, keine richtige Vorstellung, Richtung oder Perspektive zu haben. Meistens eher bei jungen Leuten, die ihren Weg noch nicht gefunden haben, aber auch ältere können durchaus davon befallen werden. Wenn man merkt, daß man sich seit Jahren weder beruflich noch privat verändert hat beispielsweise. Dann stellt man sich plötzlich die Frage: Soll das alles gewesen sein?

Auch das könnte ein Anfang für einen Roman sein. Die Suche nach einem neuen Sinn im Leben.
Für mich ist der Sinn immer die Liebe, aber das ist nicht für jeden Menschen so, ich weiß.

Verlorenheit ist jedoch ein wunderbarer Ausgangspunkt für eine Geschichte, einen Roman, weil sie allgemeinmenschlich ist. Und viele Möglichkeiten für Entwicklung zuläßt. Denn selbstverständlich soll die Figur, die am Anfang verloren ist, es am Ende nicht mehr sein. Sie soll gefunden werden oder finden, je nachdem, auf jeden Fall soll sie glücklich sein.

Was geschieht beispielsweise mit der Frau, Nora, die ich oben in meinem ersten Auszug beschrieben habe? Was tut sie als nächstes, nachdem ihre Bekanntschaft für eine Nacht oder für ein paar Stunden sie verlassen hat? Sie kann nicht nur dasitzen und weinen. Sie muß etwas tun.

Wie hat es sich angefühlt, als Sie einmal in einer ähnlichen Situation waren? Oder wenn Sie noch nie in dieser Situation waren, wie könnte es sich anfühlen? Beschreiben Sie die Gefühle, die Verlorenheit, das Gefangensein im Unglück einer so schweren Enttäuschung.

Und was geschieht als nächstes? Was wird Nora tun? Wo befindet sie sich? Bei sich zu Hause? In einem Hotelzimmer? Sicherlich nicht bei ihrer Sexpartnerin zu Hause, denn die geht ja.

Das wäre also die Aufgabe für nächste Woche (außer an Ihrem Roman zu schreiben): Versuchen Sie so tief wie möglich in Noras Gefühle einzudringen. Erinnern Sie sich an eigene Erlebnisse, aber benutzen Sie auch Ihre Phantasie. Schmücken Sie die Geschichte, die hier nur angedeutet wird, aus. Oder erfinden Sie eine völlig neue Geschichte, das ist ganz egal.

Wichtig ist, daß Sie ganz tief in die Gefühle der Figur eintauchen, daß Ihnen heiß und kalt wird beim Schreiben, weil sie genau das empfinden, was Ihre Figur empfindet. Egal, ob es gute oder schlimme Gefühle sind.

Gefühle, oftmals aus eigenen Erinnerungen und Erfahrungen gespeist, sind die wichtigste Grundlage dafür, eine Geschichte schreiben zu können. Eine unabdingbare Grundlage. Ein Roman ohne Gefühle ist nicht lesbar. Oder zumindest macht es kein großes Vergnügen, ihn zu lesen.

Es geht in jedem guten Roman weniger um das, was äußerlich passiert, Action, Abenteuer, aufregende Ereignisse, sondern es geht in erster Linie darum, was innerlich passiert.

Ihre Figuren können still dasitzen und trotzdem kann sehr viel geschehen. Sie können sich Gedanken über alles mögliche machen, sich verschiedene Möglichkeiten ausmalen, sich Vorwürfe machen oder der anderen die Schuld zuschieben.

Lassen Sie Nora (oder Ihre eigene Romanfigur) in der nächsten Woche durch die Hölle gehen.

Die Sehnsüchte Ihrer Figuren sind der Stoff, aus dem gute Romane sind. Das, was sie sich wünschen, aber nicht bekommen können. Oder erst nach großen Umwegen und Problemen erreichen.

Und dann muß ein Licht am Ende des Tunnels auftauchen, die Hoffnung muß eine Chance bekommen, die Gefühle müssen sich ändern. Nichts darf über längere Zeit gleich sein, dann wäre der Roman zu statisch. Er muß dynamisch sein, die Figur muß sich entwickeln, damit am Ende eine glückliche Zukunft locken kann.

Aber nicht zu schnell. Zuerst einmal müssen die Tiefen erforscht werden.