Sie sind nun 8 Wochen dabei und versuchen jede Woche 1500 Wörter Ihres Romans zu Papier zu bringen – oder wohl eher zu Computer. Und eins werden Sie dabei sicherlich festgestellt haben: Woher nimmt man die Zeit zum Schreiben? Eigentlich hat jeder von uns ja schon genug zu tun und die Zeit vergeht viel zu schnell.

Dagegen kann weder ich noch dieser Kurs etwas machen. Ich kann Ihnen nur Hinweise zum Schreiben selbst geben, Ihnen die eine oder andere Übung zeigen, aber Zeit – Zeit kann ich Ihnen nicht verschaffen.

Ein Buch zu schreiben ist eine Arbeit der Liebe. Es ist nicht wie irgendein Job, den man zu Ende bringen muß, es ist etwas, das uns Schreibenden am Herzen liegt. Deshalb tun wir es. Oftmals ist das aber auch genau der Knackpunkt: Wir nehmen uns nicht die Zeit fürs Schreiben wie wir sie uns für einen Job nehmen, für den wir bezahlt werden. Wir stellen das Schreiben hintenan „wenn wir einmal Zeit haben“.

Wie jeder Mensch weiß, verbringen wir alle viel Zeit mit Dingen, die nicht unbedingt lebensnotwendig sind, ja uns manchmal noch nicht einmal Spaß machen. Fernsehen zum Beispiel. Auf eine lustige, informative oder wirklich wichtige oder unterhaltsame Sendung kommen mindestens hundert, die wir uns ansehen, weil wir gerade vor dem Fernseher sitzen und nicht aufstehen wollen oder weil wir uns so daran gewöhnt haben, vor dem Fernseher zu sitzen, daß wir es automatisch tun.

Es gibt einen schönen Loriot-Sketch dazu, den sicherlich alle kennen. Ein Ehepaar in mittleren Jahren sitzt auf der Couch vor dem Fernseher. Nur – der Fernseher ist kaputt, das heißt, sie sitzen auf der Couch, weil sie eben jeden Abend auf der Couch sitzen, den Blick starr nach vorn auf den Fernseher gerichtet, aber der Fernseher läuft gar nicht, weil er eben kaputt ist.

Dann fangen sie an, sich darüber zu unterhalten, was man alles tun könnte, wenn man nicht fernsehgucken würde.

Loriot

»Fernsehabend«

Frau: Wieso geht der Fernseher denn gerade heute kaputt?
Mann: Die bauen die Geräte absichtlich so, daß sie schnell kaputtgehen.
Frau: Ich muß nich’ unbedingt fernsehen.
Mann: Ich auch nicht. Nicht nur, weil heute der Apparat kaputt ist, ich meine . . . sowieso, ich sehe sowieso nicht gern Fernsehen.
Frau: Es ist ja auch wirklich nichts im Fernsehen, was man gern sehen möchte.
Mann: Heute brauchen wir Gott sei Dank überhaupt nicht erst in den blöden Kasten zu gucken.
Frau: Neh. Es sieht aber so aus, als ob du hinguckst!
Mann: Ich?!
Frau: Ja!
Mann: Nein. Ich sehe nur ganz allgemein in diese Richtung! Aber du guckst hin! Du guckst da immer hin!
Frau: Ich? Ich gucke dahin? Wie kommst du denn darauf?
Mann: Es sieht so aus!
Frau: Das kann gar nicht so aussehen, ich gucke nämlich vorbei! Ich gucke absichtlich vorbei! Und wenn du ein kleines bißchen mehr auf mich achten würdest, hättest du bemerken können, daß ich absichtlich vorbeigucke! Aber du interessierst dich ja überhaupt nicht für mich!
Mann: Ja, ja, ja, ja, ja.
Frau: Wir können doch einfach mal ganz woanders hingucken.
Mann: Woanders??? Wohin denn??
Frau: Zur Seite, oder nach hinten!
Mann: Nach hinten?? Ich soll nach hinten sehen?? Nur weil der Fernseher kaputt ist, soll ich nach hinten sehen? Ich laß mir doch von einem Fernsehgerät nicht vorschreiben, wo ich hinsehen soll!!!
[Kleine Pause.]
Frau: Was wäre denn heute für ein Programm gewesen?
Mann: Eine Unterhaltungssendung.
Frau: Ach.
Mann: Es ist schon eine Unverschämtheit, was einem so Abend für Abend im Fernsehen geboten wird. Ich weiß gar nicht, warum man sich das überhaupt noch ansieht. Lesen könnte man stattdessen, Karten spielen oder ins Kino gehen oder ins Theater. Stattdessen sitzt man da und glotzt auf dieses blöde Fernsehprogramm!
Frau: Heute ist der Apparat ja nun kaputt.
Mann: Gottseidank.
Frau: Ja.
Mann: Da kann man sich wenigstens mal unterhalten.
Frau: Oder früh ins Bett gehen.
Mann: Ich gehe nach den Spätnachrichten der Tagesschau ins Bett.
Frau: Aber der Fernseher ist doch kaputt!
Mann: ICH LASSE MIR VON EINEM KAPUTTEN FERNSEHER NICHT VORSCHREIBEN, WANN ICH INS BETT ZU GEHEN HABE!!!

Ja, so ist das. Wir lassen uns das nicht vorschreiben. Wir sitzen ganz freiwillig jeden Abend vor dem Fernseher.

In diesem Gespräch bei Loriot kommt natürlich das Schreiben als Alternative nicht vor, der Sketch ist ja eher für »Normalbürger« gedacht, die weder ihre Abende noch sonst eine Zeit mit Schreiben verbringen, außer es handelt sich um einen Einkaufszettel.

Für uns Schreibende aber sind die Zeitfresser wie Fernsehen, Internet, Klönen mit Verwandten, Freunden und Bekannten oft der Grund dafür, daß wir nicht zum Schreiben kommen.

Sicherlich, da muß auch noch das Unkraut im Garten gejätet werden, und die Kinder wollen vielleicht was zu essen. Wenn wir keine Kinder haben, dafür aber ein Auto, ist daran bestimmt auch immer etwas zu machen, das Haus oder die Wohnung muß geputzt werden . . . und so weiter und so fort.

Wenn man nicht schreiben will, findet man viele Ausreden, aber was ist, wenn man schreiben will, aber trotzdem keine Zeit dafür findet?

Zeit hat man nicht, man muß sie sich nehmen

 . . . ist ein in Managerseminaren immer gern wiederholter Spruch.

Das heißt, die Zeit, die man hat, also 24 Stunden am Tag (mehr wird es nicht, auch wenn wir noch so sehr an der Uhr zerren oder sie auf den Boden werfen), muß man einfach richtig einteilen.

Stellen Sie sich vor, Sie liegen auf dem Sterbebett und überlegen sich, was Sie in Ihrem Leben so geleistet haben. Unter anderem wollten Sie immer einen Roman schreiben. Aber irgendwie, irgendwie war da immer etwas anderes, das Ihnen die Zeit gestohlen hat. Würden Sie dann damit zufrieden sein, daß Sie sagen können: »Aber immerhin war meine Wohnung immer sauber und ordentlich«? Ist es wirklich wichtiger, die Wohnung aufzuräumen als ein Buch zu schreiben?

Und würden Sie dann nicht, kurz vor ihrem endgültigen Verlassen der Erde, seufzen: »Ach, hätte ich doch lieber einen Roman geschrieben als die Wohnung aufzuräumen«?

Deshalb kein „hätte“ und kein „könnte“ mehr, sondern nur noch ein „Ich tue es! – Ich nehme mir einfach die Zeit!“

Interessanterweise gelingt es dann am besten, sich Zeit zum Schreiben abzuknapsen, wenn man am wenigsten davon hat. Ich kann immer dann am besten schreiben, wenn ich in zehn Minuten einen Termin habe und eigentlich weg muß. Wenn ich hingegen Stunden vor mir habe, die ich zu Hause verbringen kann, mache ich mir erst einmal einen Kaffee, schaue noch die eine oder andere Mail an oder blättere in einem Buch, das nichts mit dem Thema, über das ich schreiben möchte, zu tun hat, und das auch noch bis morgen oder übermorgen Zeit hätte.

Somit ist es vielleicht ganz günstig, sich sehr viel vorzunehmen, sehr viele Termine zu haben, sich um alles mögliche zu kümmern und dann auch noch eine Stunde am Tag fürs Schreiben einzuplanen. Dadurch erhält das Schreiben keinen so hohen Stellenwert, ich muß nichts Grandioses schaffen in dieser Zeit, es ist eben nur eine Stunde, und in der muß ich möglichst viel schaffen – Qualität ist erst einmal irrlevant.

So schreibt sich Ihr Roman ganz von selbst. Na ja, nicht ganz. Patricia Highsmith berichtete einmal, daß sie, als sie noch jung und noch keine berühmte Schriftstellerin war, morgens in aller Herrgottsfrühe aufgestanden ist, um vier oder fünf Uhr, um noch zwei Stunden schreiben zu können, bevor sie zur Arbeit gehen mußte (sie arbeitete damals als Verkäuferin in einem Kaufhaus).

Das war aber nicht alles. Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, duschte sie, zog sich bequeme Kleidung an und setzte sich dann sofort an den Schreibtisch (oder damals eher an ihren Küchentisch, denn sie hatte gar keinen Schreibtisch), um bis tief in die Nacht zu schreiben. Sie sagte, daß es für sie sehr wichtig war, sich umzuziehen, sich nicht direkt in der Kleidung an den Tisch zu setzen, in der sie tagsüber arbeitete. Sie zog quasi einen richtigen Strich unter ihren Arbeitstag, für den sie bezahlt wurde, um dann mit dem Arbeitstag zu beginnen, für den sie damals noch nicht bezahlt wurde.

Ich denke, auch solche Rituale sind äußerst wichtig. Wenn ich meine „Schreibhose“ oder mein „Schreib-T-Shirt“ anhabe, weiß ich, was jetzt meine Aufgabe ist. Ich kann nicht einfach aufspringen und etwas anderes tun.

Es ist wichtig, daß man sich dessen bewußt ist, daß die Zeit, die man sich zum Schreiben nehmen kann, sehr kostbar weil rar ist, und daß man diese Zeit so gut wie möglich nutzen muß.

Genauso fühle ich mich, wenn ich weiß, daß ich bald das Haus verlassen muß. Dann schießen die Ideen nur so in meinen Kopf, ich kann gar nicht mehr aufhören zu schreiben. Es ist der Druck, daß die Zeit, die man zum Schreiben hat, begrenzt ist, die einen so antreibt. In solchen Zeitabschnitten schreibt man mehr als in Stunden gemütlich vor der Kaffeetasse, in denen man ohne Zeitdruck schreiben könnte.

Manche Leute brauchen Rituale, bevor sie anfangen zu schreiben, auch das ist wichtig. Man setzt sich nicht einfach an den Schreibtisch und schreibt. Bei mir ist es der Cappuccino, ohne den gar nichts geht. Wenn ich schreibe, brauche ich Cappuccino wie die Luft zum Atmen, mehrere große Tassen am Tag. Meine Cappuccino-Maschine wird gar nicht mehr ausgeschaltet an solchen Tagen. Habe ich keinen Cappuccino, kann ich auch nicht schreiben. Jeder Mensch hat so seine eigenen Rituale, Bedürfnisse und Gewohnheiten.

Früher dachte ich, so etwas braucht man nicht. Die Inspiration zum Schreiben fällt mich an wie ein Blitz, und dann mache ich es eben. Ich hätte nie gedacht, daß man sich Schreiben „angewöhnen“ kann wie Zähneputzen. Auch zum Zähneputzen hat man manchmal keine Lust, aber man tut es trotzdem.

Auf die Inspiration zu warten, auf die Lust zum Schreiben, wäre jedoch Zeitverschwendung. Wenn man wenig Zeit hat, muß man jede Minute, jede Sekunde nutzen, man kann sich nicht auf seine „Muse“ verlassen. Da ist es eher nützlich, sich eine Routine zuzulegen wie vor dem Beginn des Arbeitstages jeden Tag ein, zwei Stunden zu schreiben oder nach Feierabend.

Andere Leute gehen morgens oder abends joggen, wir schreiben. 

Also: Finden Sie Ihr Ritual und ziehen Sie es durch. Machen Sie Termine, jeden Tag, wenn Sie das brauchen, damit Sie wissen, daß Sie in einer Stunde das Haus verlassen müssen und nur diese eine Stunde haben, um zu schreiben.

Oder lassen Sie Ihre Kaffeemaschine einen Cappuccino nach dem anderen zubereiten, wenn das Ihr Ritual ist. Für mich ist diese eine Bewegung, auf den Knopf Automatic Cappuccino zu drücken, schon selbst richtig zum Ritual geworden. Dann höre ich zu, wie die Maschine die Milch schäumt, während ich meinen PC einschalte. Danach mahlt die Maschine den Espresso und füllt ihn in die Tasse mit der aufgeschäumten Milch. Zu diesem Zeitpunkt bin ich von meinem Arbeitszimmer in der Küche zurück und kann den Cappuccino mitnehmen, um ihn dann neben meinen Bildschirm zu stellen und mit dem Schreiben zu beginnen.

Letztens war meine Cappuccino-Maschine kaputt, und es hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Es ist peinlich, aber man wird richtig abhängig von solchen Ritualen. Deshalb sind sie so hilfreich. Es ist quasi wie Hypnose. Man richtet sich nur und ausschließlich auf eine Sache aus und auf die konzentriert man sich.

Das Schreiben. Nichts anderes. Für eine Stunde oder zwei. Jeden Tag.