Was halten Sie von der Wahrheit? Denken Sie, beim Schreiben ist es wichtig, die Wahrheit zu sagen? Die ganze Wahrheit, zum Beispiel auch über das eigene Leben?

Ich glaube, wir können es nicht verhindern, die Wahrheit zu sagen, auch über uns selbst, wenn wir schreiben, selbst wenn wir nur Geschichten erfinden. Der eigene Charakter, die eigene Persönlichkeit scheint immer durch bei allem, was wir tun, was wir sagen und auch, was wir schreiben.

Sobald ich von jemand eine Mail erhalte, mache ich mir ein Bild von ihm oder ihr. Der Stil vermittelt einen Eindruck darüber, ob jemand nett oder eher fies ist. Viele Leute machen sich das nicht bewußt.

Und noch schlimmer ist es bei einem Roman, einem langen Text mit einer Geschichte, die ich entweder selbst erlebt oder selbst erfunden habe.

Deshalb denke ich auch, daß es Quatsch ist, was einmal in dem Film »Besser geht’s nicht« mit Jack Nicholson und Helen Hunt behauptet wurde: nämlich daß ein griesgrämiger, menschenfeindlicher Mann (von Jack Nicholson gespielt) als Autor solche hinreißenden, gefühlvollen Liebesromane schreiben kann, daß alle Welt ihm zu Füßen liegt und sich die Augen ausweint vor lauter Romantik und Emotionalität.

Außerdem — darüber muß man sich keine Illusionen machen — liegt keinem Autor und keiner Autorin die Welt derartig zu Füßen. Das wird nur immer in Filmen und Romanen behauptet. Aber das ist ein anderes Thema. Jedesmal, wenn ich sehe, wie Verleger und Autoren in Filmen dargestellt werden, stellen sich mir die Haare auf. Die haben alle ein riesiges Haus, Ländereien, Dienerschaft und besitzen Millionen. Davon können wir Normalautoren und -verleger nur träumen. Wahrscheinlich sind das die Träumereien der Drehbuchautoren selbst, die gern so leben würden und hoffen, dadurch, daß sie es hinschreiben und immer wieder neu behaupten, würde es vielleicht einmal wahr. 

Also auch da wieder spielt die Wahrheit eigentlich keine Rolle. Es wird das in die Geschichte gepackt, was man sich wünscht, nicht das, was wirklich real ist.

Und genau daraus bestehen die meisten wirklich guten Geschichten: aus Geheimnissen. Geheimen, verborgenen Wünschen, die wir nicht preisgeben, aber dennoch beispielsweise in einer Geschichte Wirklichkeit werden lassen.

Eine Autorin sagte einmal: »Ich schreibe deshalb Geschichten mit Happy End, weil das Leben schon hart genug ist.«

Genau darum geht es. Die Wahrheit ist nicht wichtig, die Geschichte ist wichtig. Während ich eine Liebesszene schreibe, empfinde ich diese Liebe, auch wenn vielleicht überhaupt niemand da ist, mit dem ich sie teilen kann.

Die Kunst dabei ist, die Geheimnisse, die in uns schlummern und die eine nie versiegende Quelle von Geschichten sind, die wir erzählen können, so zu schreiben, daß es sich nicht wie eine schlecht geschriebene Autobiographie liest. Denn — wie gesagt — wir schreiben alle mit unserem Herzen und unserer Seele.

Aber »Autobiographische Bücher sind die schlechtesten«. Es sind eben eigentlich keine »richtigen« Bücher, sondern es ist nur ein Tagebuch. Tagebücher gehören in die Schublade, nicht in ein gedrucktes Buch (es sei denn, es sind interessante KünstlerInnenbiographien, aber das sind ja die wenigsten).

Der »Mantel« ist das wichtigste. Etwas Selbsterlebtes als Ausgangspunkt zu nehmen ist nichts Schlimmes, es aber dabei zu belassen, das ist schlimm. Die meisten Geschichten, die man schreibt, speisen sich aus dem Fundus unserer Erlebnisse, aber sie dürfen nicht darauf beschränkt bleiben.