Krise oder Höhepunkt aufbauen

Die Krise oder der Höhepunkt ist der Wendepunkt der Geschichte – der aufregendste oder dramatischste Augenblick.

Die Krise kann in einer Erkenntnis bestehen, in einer Entscheidung oder einer Auflösung. Die Figur, üblicherweise die Hauptfigur, also die Protagonistin der Geschichte, versteht plötzlich, was sie zuvor nicht sehen oder erkennen konnte, oder ihr wird auf einmal klar, was getan werden muß oder – wenn sie das schon vorher wußte, aber trotzdem nicht getan hat – entscheidet sich endlich dafür, es zu tun.

Hier dreht sich auf einmal alles um. Und der Zeitpunkt ist absolut entscheidend. Timing ist alles.

Wird die Krise zu früh eingeläutet, wird die Leserin darauf warten, daß es noch einen weiteren Wendepunkt gibt und diesen einfach nur für den ersten von mehreren halten. Wenn es also der einzige, alles entscheidende Wendepunkt sein soll, wäre das fatal, denn dann wird die Leserin zum Schluß enttäuscht sein.

Kommt der Wendepunkt jedoch zu spät, werden die Leserinnen sich bis dahin langweilen oder ungeduldig werden – und zudem erscheint die Protagonistin in diesem Fall als reichlich dumm, weil sie die entscheidenden Dinge nicht früher erkannt hat.

Die Krise oder der Höhepunkt und Wendepunkt sollte möglichst in einer Szene präsentiert werden, nicht einfach so hingeschrieben. Es ist der »eine Augenblick«, auf den die Leserinnen die ganze Zeit gewartet haben.

Ein gutes Beispiel ist der Wendepunkt in »Aschenputtel« (oder »Cinderella« – für die, die das Märchen nur als Disneyfilm kennen). Was ist der entscheidende Augenblick?

Nun, wenn der Schuh paßt. In dem Moment ist alles klar. In diesem Augenblick, auf den alle gewartet haben, wird sie belohnt für alles, was sie zuvor ertragen mußte, ihre Leiden haben ein Ende.

Eine gute Geschichte braucht einen Höhepunkt, aber es sollte kein zufälliges Ereignis wie ein Autounfall oder eine plötzliche Krankheit sein. Das sind nur Notfälle – außer wenn dadurch ein Konflikt entsteht oder vorgestellt wird, der das Interesse der Leserin an den Figuren erweckt.

Es sind nicht nur unerfahrene Schreiber, sondern auch Profis, die diese Regel immer wieder vergessen oder mißachten. Gestern abend haben meine Frau und ich gemeinsam einen Film angeschaut, der eigentlich gar nicht schlecht war, aber der Wendepunkt kam zu früh, und die Auflösung war banal und unbefriedigend.

So bleibt ein schlechtes Gefühl zurück. Wir fragten uns zum Schluß: »Ja, und warum hat er das jetzt alles getan? Was wollte er eigentlich erreichen? Was war sein Problem?«

Diese Fragen sollten selbstverständlich am Ende einer Geschichte beantwortet sein.

Ich weiß selbst nur zu gut, wie schwierig es ist, einen guten Wendepunkt zu finden und zu schreiben – und das auch noch zum richtigen Zeitpunkt. Einen kleinen Hinweis kann ich noch geben: Wenn man das Gefühl hat, man schreibt und schreibt und schreibt und irgendwie plappert man nur so vor sich hin . . . dann hat man den Wendepunkt definitiv verpaßt.

Die Bewegung zum Wendepunkt hin ist immer und ununterbrochen voller Spannung. Das heißt, jeder Satz, den man schreibt, ist bedeutungstragend. Also keine unnötigen Details aus dem Alltag beschreiben, keine Dinge, die ohnehin schon jeder weiß, sondern nur das, was einen Zusammenhang mit dem Wendepunkt hat und darauf zuläuft.

Deshalb ist es wichtig, den Wendepunkt zu kennen, bevor man ihn erreicht hat. Banal? Ja, aber trotzdem etwas, das man sich beim Schreiben immer wieder bewußt machen sollte.

Was wäre die Szene mit dem Schuh in »Aschenputtel«, wenn sich die Spannung bis dahin nicht aufbauen würde, wenn es eine Zufälligkeit wäre?

Es ist keine Zufälligkeit, die Szene ist mit Absicht dort, wo sie ist, und auf die Art, wie sie ist. »Es kann nur Eine geben« – und das wird durch den Schuh definiert.

Darum geht es die ganze Zeit in der Geschichte: diese Eine zu finden.

Das ist etwas, das uns allen sicherlich bekannt vorkommt, denn in jedem el!es-Buch geht es genau um dasselbe und nur darum.