Eine Lösung finden

Die Lösung des Konflikts. In Kurzgeschichten ist es oft schwierig, eine endgültige Lösung zu präsentieren – wir haben uns ja auch nur mit einem einzigen Konflikt, einem einzigen Ereignis beschäftigt, und es gibt noch viele andere Konflikte und Ereignisse, die damit verbunden sind.

Das ist das Prinzip der Soap Operas. Am Anfang gibt es einen – meist trivialen – Konflikt, der wird dann gelöst, aber da das Ganze ja bis Folge 10.000 weiterlaufen soll, müssen damit verbundene Konflikte erkannt und gelöst werden, immer weiter und weiter und weiter.

In einer Kurzgeschichte kann man das angeschnittene Problem vielleicht nicht endgültig lösen, aber da die Geschichte nach relativ wenigen Wörtern ein Ende finden muß, zeigt man beispielsweise, daß die Charaktere (oder der Hauptcharakter) sich zu ändern beginnt, daß die Figur die Dinge auf einmal anders sieht als am Anfang. Daraus kann man eine Entwicklung ableiten, die möglicherweise zu einer befriedigenden Lösung führt – irgendwo in der Zukunft.

Das erinnert mich an »Vom Winde verweht«. Die Leserinnen waren nie zufrieden damit, daß Rhett Scarlett am Ende verläßt, daß es keine Wiedervereinigung gibt, kein Verständnis, daß die große Liebe gescheitert sein soll. Obwohl es am Ende offensichtlich mehr Chancen für ein gemeinsames Leben gibt als je während der ganzen Zeit ihrer Bekanntschaft oder Ehe zuvor.

Die Entscheidung der Autorin Margaret Mitchell, das Ende offen zu lassen, hat Generationen von Leserinnen und Filmzuschauerinnen dazu bewogen, sich das Ende auszumalen, ihre eigene Phantasie spielen zu lassen. Und schätzungsweise haben sich alle eine Versöhnung von Scarlett und Rhett ausgemalt – was sonst? Aber trotzdem hat sich sicherlich jede eine andere Szene vorgestellt, andere Worte, andere Gesten, ein anderes Ende.

Dadurch waren die Leserinnen dann zum Schluß doch auf eine Art zufriedengestellt und das Buch, ebenso wie der Film, verlor nie seinen Zauber. Die ultimative Liebesgeschichte, die nie übertroffen wurde.

Das Schlimmste, was man tun konnte, war, eine Fortsetzung zu schreiben. Und lange Zeit haben das die Erben von Margaret Mitchell auch verhindert. Aber leider hat es dann irgendwann doch eine gegeben, das Buch »Scarlett«. So ziemlich das fürchterlichste Buch aller Zeiten und mehr als überflüssig. Und vor ein paar Jahren folgte dann noch das Buch »Rhett« – genauso schrecklich und genauso überflüssig.

Sicherlich hat »Vom Winde verweht« dadurch trotzdem nichts von seiner Kraft eingebüßt, aber man sollte es tunlichst vermeiden, die Fortsetzungen zu lesen.

Eine endgültige Lösung sollte also gut sein, sonst läßt man das Ende besser offen.

  • Ein solches »offenes Ende« ist eine der Möglichkeiten, wie man eine Geschichte enden lassen kann. Die Leser/innen bestimmen in diesem Fall die Bedeutung, das wirkliche Ende entsteht im Kopf des Publikums, es wird nicht auf Papier gebannt.

Beispiel:
Ihr Blick schweifte fort von der Stadt und hinauf in die Berge.

Wenn das der letzte Satz ist, werden alle, die das lesen, sich ausmalen, was diese Berge bedeuten oder was dort eventuell noch passieren könnte.

  • Eine zweite Möglichkeit wäre ein absolut eindeutiges Ende ohne die Spur eines Zweifels.

Der Tod bietet zum Beispiel eine Endgültigkeit, die nicht mehr aufgehoben werden kann:
Sie schaute hinunter auf die Leiche. Das war also das Ende der Geschichte.

Hier geht nichts mehr weiter. Tot ist tot. Und was auch immer der Protagonistin jetzt noch widerfahren wird, es hat nichts mehr mit diesem toten Körper zu tun, kann nichts an diesem Tod oder an den Umständen für diese tote Person ändern.

Es kann natürlich auch anders ablaufen, ohne Tod.
»Ich verlasse dich«, sagte sie. Sie nahm ihre Tasche und ging.

  • Das Ende kann auch, eine dritte Möglichkeit, eine Wiederaufnahme des Anfangs sein.

Vor 20 Jahren waren die beiden Hauptpersonen ineinander verliebt, die Zeit hat sie auseinandergebracht, die Liebe schien verschwunden, aber im Laufe der Geschichte hat es die Autorin geschafft, die beiden wieder zusammenzubringen, und das Ende ist:

»Weißt du, was ich gefunden habe?« Sie kam strahlend herein.
»Nein?« Ich blickte fragend.
»Schau mal hier.« Etwas klimperte.
»Autoschlüssel?«
»Ja, aber was für ein Auto. Sieh mal aus dem Fenster.«
Ich tat es, und da stand er: eine absolute Schönheit, mein Mazda MX5-Roadster, in dem wir damals unsere erste Ausfahrt unternommen hatten. Oder ein Zwilling davon. Mittlerweile war meiner schon lange auf dem Schrottplatz.
»Willst du?« fragte sie lächelnd und hielt mir den Schlüssel hin.
Ich nahm ihn wie in Trance, wir gingen hinaus und stiegen ein, und dann fuhren wir die Straße hinunter, hinein in den Sonnenuntergang, genau wie damals.

  • Und noch eine Möglichkeit: Monolog. Eine der Figuren kommentiert.

Beispiel:
Ich hätte mir gewünscht, er hätte sich noch von seiner Mutter verabschiedet, bevor er unter den Laster kam.

  • Das gleiche kann auch in einem Dialog passieren. Zwei Figuren unterhalten sich und markieren damit das Ende.

Es gibt noch weitere Möglichkeiten.

  • Auch ein Bild kann das Ende markieren und die Bedeutung der Geschichte klarmachen. Die Landschaft oder die Umgebung können dabei eine Rolle spielen.

Beispiel:
Das Wasser war verschwunden, und die Sonne schien, als hätte sie nie etwas anderes getan.

  • Symbolik. Details deuten auf eine Bedeutung über die wörtliche Bedeutung hinaus.

Beispiel:
Im strahlend blauen Himmel erschien eine Wolke, als wir am frühen Morgen auf die Hitze des Tages warteten.

Da ziehen wohl Wolken auf, wie man so schön sagt und damit nicht nur das Wetter meint. Wenn eine Geschichte so endet, sind die Probleme sicherlich noch nicht alle gelöst oder werden es auch nie sein. Es wird sich immer wieder alles wiederholen, was in der Geschichte angerissen wurde.

Ein solches Ende kann auch bedeuten, daß sich das Leben eben generell nicht ändert, auch wenn es einzelne Aspekte davon durchaus tun.


So, und damit ist die kleine zehnteilige Reihe über das Schreiben von Kurzgeschichten ebenfalls beendet.

Was das Schreiben betrifft, so ist auch ein Schreibratgeber immer nur mit einem offenen Ende versehen – kann es nur sein, denn jeder Mensch ist anders und schreibt anders. Es gibt keine endgültigen Ratschläge, nur Hinweise.

Ich hoffe, mit diesen Hinweisen können einige etwas anfangen – und vielleicht entsteht ja die eine oder andere Geschichte daraus. Das würde mich freuen.