Für Anfängerinnen ist es oft sehr schwer, sich über ihre Geschichte, ihren Roman überhaupt Gedanken zu machen, etwas zu planen oder zu strukturieren.

In solchen Fällen hilft eine sehr einfache Software, die Schreibende durch den ganzen Prozeß des Schreibens führt. Die Software heißt »WritePro Fiction(Master)« und wurde von Sol Stein, einem erfahrenen (und auch sehr erfolgreichen) Autor und Lektor, dessen Buch »Über das Schreiben« ich immer wieder wärmstens empfehle, für Autorinnen und Autoren entwickelt.

Hier ein Auszug aus dem Werbetext auf der Webseite von »Zweitausendeins«.

Wollen Sie lernen, wie man an die Konzeption eines Romans oder einer Kurzgeschichte herangeht?

Dann sehen Sie mal in WritePro® Fiction rein. Das Erfolgswerkzeug für Autor/inn/en von Romanen und Kurzgeschichten. Es hilft, die Figuren des Romans zu finden, einen packenden Plot zu entwickeln, die Leserin zu fesseln, spannende Dialoge zu schreiben, es hilft sogar beim Schreiben erotischer oder komischer Szenen. Fiction hat einen eingebauten »Dialog Doktor«, der auch einem kranken Dialog auf die Sprünge hilft.

Oder haben Sie ein Manuskript in der Schublade und wollen trainieren, wie man eine Geschichte, Beschreibungen und Dialogsequenzen auf Herz und Nieren prüft?

WritePro® FictionMaster
. Das Profi-Programm für Autor/inn/en von Romanen, Kurzgeschichten, Theaterstücken, Filmscripts. Mit ihm entwickeln Sie Figuren, die niemand vergisst. Plots, die niemand ungelesen weglegt. Viele Autor/inn/en tun sich schwer mit Dialogen, und die meisten Lektor/inn/en lehnen ein Buch wegen schlechter Dialoge ab.

Mit einem Computerprogramm zum Erfolgsautor? Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Aber es ist wahr. Und schön ist es auch. Sol Stein hat zwei leicht zu bedienende und sehr erfolgreiche Programme für Autor/inn/en entwickelt.

Die New York Times: »Man kann sich nichts Einfacheres vorstellen als die Arbeit mit dieser Software.«

Und Writer’s Digest meint: »Sie merken sofortigen Fortschritt. Schon nach der zweiten Übung haben Sie eine runde Geschichte mit einem spannenden Plot, mit Durchschlagskraft und ohne Klischees.«

Nun, das ist wie gesagt der Text, der die Software verkaufen soll, und das klingt alles sehr vollmundig und vielversprechend. Natürlich sieht die Realität etwas anders aus. Es gibt keine Software, die einem das Schreiben abnehmen kann und noch weniger das Denken.

Dennoch finde ich, daß diese Software für Schreibanfängerinnen gut geeignet ist, denn sie zwingt die Autorin, ihre Gedanken zu ordnen und hilft ihr, nichts zu vergessen.

Das geht schon mit der Charakterisierung der Figuren los. Gleich auf der ersten Seite, wenn man die Software startet, steht:

Die Charakterisierung: Wie Sie faszinierende Figuren entwerfen

Ich sage manchmal zu meinen Studenten: »Gott kann es sich leisten, Langweiler zu erschaffen. Sie können das nicht.«

Denn das höchste Ziel, auf das eine Romanautorin hinarbeiten sollte, ist die Gestaltung von Figuren, die die Leserin noch lange nach der Lektüre im Gedächtnis behält. Keine Leserin wird Geld ausgeben, um ihre Freizeit mit erfundenen Figuren zu verbringen, die nicht interessanter sind als die Menschen, die ihr im wirklichen Leben tagtäglich begegnen. (Sol Stein)

Ja, so ist es. Ich möchte unterhalten werden, wenn ich ein Buch lese. Ich möchte Abenteuer erleben, die ich im täglichen Leben nicht habe. Ich möchte interessanten Menschen begegnen, wie man sie im Alltag nur mit der Lupe suchen kann.

Jede der Figuren muß einzigartig sein, muß mir sympathisch sein, oder ich muß sie aus tiefstem Herzen hassen können (das gilt aber nur für die Bösewichte, die Hauptfigur muß schon sympatisch sein, darf dabei aber natürlich eine Menge liebenswerte Schwächen haben).

Zuerst einmal werden Sie durch die Software dazu aufgefordert, einen Namen für Ihre Figur auszusuchen, einen vollständigen Namen, bestehend aus Vor- und Zuname.

Wählen Sie keine zu komplizierten Namen. Die Namen sollten leicht auszusprechen und leicht zu behalten sein. Und sie sollten in einem Roman, der von einer deutschen Autorin stammt, deutsch sein. Es sei denn, Sie wollen Ihre Figur als Ausländerin kennzeichnen, dann kann der Name natürlich auch russisch, französisch, italienisch oder schwedisch sein.

Zwei Figuren im selben Roman sollten niemals ähnlich klingende Namen haben, auch nicht Namen, die mit demselben Buchstaben oder derselben Buchstabenkombination beginnen.

»Karin« und »Katja« als die beiden Hauptfiguren des Romans – das wäre ganz schlecht. Auch wenn die Hauptfigur Katja und eine Nebenfigur Karin heißt, ist das nicht gut. Eine der Figuren muß umbenannt werden.

Falls Ihnen keine Namen einfallen, durchsuchen Sie das Telefonbuch oder suchen Sie sich aus einer der Namensdatenbanken auf dem Internet einen Namen heraus. Sie können auch ein Buch kaufen, das beispielsweise werdenden Eltern Vorschläge für die Benennung ihrer Kinder macht. Ganz nach Belieben.

Nur verwenden Sie niemals – ich betone: niemals! – Namen von Menschen, die Sie kennen, von Freundinnen, Bekannten, Familienangehörigen. Sie verbinden mit diesem Namen dann alles, was zu diesem bestimmten Menschen gehört, und können die Figur somit nicht mehr frei nach Ihren Wünschen gestalten.

Die Namen Ihrer beiden Hauptfiguren, vor allem die des Liebespaares in einem Liebesroman, sollten auch gut zusammen klingen, besonders, wenn Sie in der 3. Person schreiben, nicht aus der Ich-Perspektive. Suchen Sie für die beiden Liebenden auf jeden Fall Namen aus, die sich nicht gleich »beißen«, das erleichtert es der Leserin, sich die beiden als Paar vorzustellen.


Im ersten Teil ging es hauptsächlich um Namen, nun geht es darum, diesem Namen ein Gesicht und einen Charakter zu geben, die Figur aus dem Nichts – denn damit fangen wir immer an, wir Schriftstellerinnen: dem Nichts – zu erschaffen.

Die Figurenbeschreibung

Eine Figurenbeschreibung ist nicht: »Sie war groß und blond und sah gut aus.«

Nein, nein, nein!

Ebensowenig ist es eine Figurenbeschreibung, wenn Sie alle Einzelheiten über die Figur erzählen, von der Kindheit bis heute. Ihre Figur muß eine Biographie haben, das ist richtig, aber die sollten Sie der Leserin nicht gleich auf der ersten Seite, möglichst noch im ersten Absatz, um die Ohren schlagen.

Wie alt die Figur ist, wie groß sie ist, was für einen Beruf sie hat, welche Probleme sie hat, das alles sollten wir im Verlauf des Romans erfahren, aber nicht, indem Sie es der Leserin direkt sagen. Es muß sich aus dem Zusammenhang ergeben.

Wie beschreibe ich nun also meine Figuren, ohne daß ich der Leserin direkt sage, was ich ihr sagen will?

Am besten geht das über auffällige Kleinigkeiten, entweder im Äußeren oder im Verhalten.

Ein Beispiel:

»Sie trug ein Kostüm in gedeckten Farben. Nichts unterschied sie von den anderen Angestellten, die an diesem Morgen das Bürogebäude betraten. Wenn da nicht der hellrote Schal gewesen wäre.«

Der hellrote Schal ist ein auffälliges Merkmal. Natürlich darf diese Figur diesen Schal dann nicht nur einmal tragen, sondern sie muß immer irgendeine auffällige Kleinigkeit an ihrer Kleidung haben, die sie von anderen unterscheidet.

Durch diese Beschreibung wird der Leserin deutlich suggeriert:
Diese Figur trägt nur gezwungenermaßen die Einheitskleidung der Angestellten.
Sie muß sie vielleicht tragen, weil sie Bankangestellte ist und es für den Umgang mit Kunden eine Kleidervorschrift gibt, der sie sich nicht entziehen kann. Aber sie fügt dem vorgeschriebenen gedeckten Kostüm ein individuelles und dazu noch sehr auffälliges Merkmal hinzu. Sie ist ein besonderer Mensch mit einem eigenen Willen und eigenen Ansichten. Sie läßt sich nicht so leicht etwas befehlen.

Das alles sagt der rote Schal aus. Man muß also nicht jede dieser Eigenschaften einzeln beschreiben, es reicht ein einziger, kleiner Hinweis.

Ebenso verhält es sich mit auffälligen Verhaltensweisen. Vielleicht ist das Aussehen einer bestimmten Figur gar nicht das Hervorstechende an ihr, sondern eher das, was sie tut und wie sie es tut.

Beispiel:

»Sie schoß herein wie von der Tarantel gestochen.«

Wenn diese Figur das immer tut, nicht nur einmal bei einem besonders aufregenden Anlaß, charakterisiert diese hektische Art die Figur. Sie ist ein unruhiger, aufgeregter Mensch. Sie kann nicht stillsitzen, kann sich vielleicht auch nicht konzentrieren, ist eventuell oberflächlich und bringt alles durcheinander.

Dieselbe Beschreibung könnte aber auch eine sehr dynamische Person charakterisieren, die zwar immer sehr in Bewegung ist, was jedoch eher energiegeladen wirkt als hektisch.

Es kommt immer darauf an, was Sie daraus machen. Achten Sie darauf, daß die Figur vor den Augen der Leserin lebendig wird, daß die Leserin sie sieht, als ob ein Film vor ihr ablaufen würde.

Die Beschreibung einer Verhaltensweise ist oft ein eindeutigeres Merkmal als Äußerlichkeiten.

Beispiel:

»Immer, wenn man sie ansprach, preßte sie die Lippen zusammen, und ihre Wangenknochen traten scharf hervor.«

Man weiß sofort: Diese Figur »sitzt« auf ihren Gefühlen. Sie läßt sie nicht heraus, versucht immer, sie zu unterdrücken. Sie ist vermutlich kein besonders offener Mensch. Vielleicht hat sie Angst vor Gefühlen, vielleicht hat sie Angst vor Menschen. Vielleicht hat sie schlechte Erfahrungen gemacht. Auf jeden Fall verschließt sie ihr Inneres so weit wie möglich jedem Zugriff von außen. Vermutlich ist sie ein sehr einsamer Mensch.

Ganz anders hier:

»Ihr schwerfälliger Gang täuschte. Er schien vorzugeben, daß auch ihr Geist schwerfällig war. Wenn man sie jedoch im Gerichtssaal sah, wie sie sich plötzlich aufrichtete und ihre Augen vor Intelligenz blitzten, war es vielleicht zu spät, seine Meinung zu ändern.«

Hier ist eine scharfsinnige, vielleicht auch scharfzüngige, eventuell sogar übermütige Person, die eine Art Mimikry betreibt. Sie gibt sich harmlos, indem sie ihre äußerlichen Merkmale (vielleicht ist sie übergewichtig und nicht mehr ganz jung) zur Täuschung ihrer Umwelt nutzt. Sie wird leicht unterschätzt, aber sie gewinnt immer.

Die Augen sind dabei ein wichtiger Hinweis. An nichts kann man den Charakter eines Menschen so gut erkennen wie an den Augen. Ein »stumpfer Blick« sagt mehr aus als »Sie war nicht gerade die Intelligenteste«, ein »schelmisches Augenzwinkern« beschreibt eine Figur besser als »Sie hatte Humor«.

Auch die Beschreibung »Sie wich meinem Blick aus« ist aussagekräftig. Denn ein Mensch, der einem anderen nicht in die Augen schauen kann, hat irgendwelche Probleme. Vielleicht ist der Mensch feige, er war schon immer so, es ist sein ihm angeborener Charakter. Oder die Figur schämt sich, hat Angst, ist vielleicht auch schwach und hilflos.

Ein »offener Blick« jedenfalls macht eine Figur sympathisch. Ist es der Bösewicht, der diesen »offenen Blick« zur Schau trägt, ist er wahrscheinlich ein Psychopath, denn nur Psychopathen sind in der Lage, sich so zu verstellen, daß sie trotz abgrundtief böser Gedanken sympathisch erscheinen.

Somit sind die Augen ein substantieller Bestandteil des Charakters und der Charakterbeschreibung einer Figur.


Wir sind immer noch bei der

Figurenbeschreibung

Name, äußerliche Merkmale und zum Teil auch psychische Merkmale haben wir schon abgehandelt.

Nun geht es um die Sprache.

Die Sprache einer Figur ist sehr wichtig. Sie muß der Figur angemessen sein, und zwar allem an ihr, dem Alter, der sozialen Herkunft, der regionalen Herkunft, eventuell ist sie auch ein Zeichen dafür, ob eine Figur in Deutschland geboren ist oder im Ausland, natürlich auch, welche Erziehung sie genossen hat.

Das erste Indiz dafür ist der Wortschatz. Eine Figur, die Wörter wie »Impetus«, »eruieren« oder »indigniert« verwendet, ist offensichtlich gebildet. Das heißt nicht, daß diese Figur ein guter Mensch ist oder daß sie die Wörter, die sie verwendet, auch versteht. Es gibt eine Menge Akademiker/innen, die zwar eine Menge Fremdwörter verwenden, trotzdem aber kaum wissen, was sich dahinter verbirgt.

Dennoch kann ein Mensch über seinen Bildungsstand als Figur in einem Roman charakterisiert werden.

Gerade Jugendliche heute gehören allerdings eher zur »Einwortgeneration«, unabhängig von Bildungsstand und sozialer Herkunft. Was also früher als Kennzeichen für eine Person aus der Unterschicht galt – nämlich die überwiegende Verwendung von einsilbigen oder zweisilbigen Wörtern –, ist heutzutage eventuell nicht mehr ganz so eindeutig.

Zumindest soweit es Jugendliche betriffft. Einen Erwachsenen, der so redet und dazu ordinäre Ausdrücke verwendet, würde man wohl immer noch der Unterschicht zuordnen.

Die sprachliche Differenzierung, also die Unterscheidung oder auch Abgrenzung verschiedener Figuren durch ihre Sprache, ist im Deutschen manchmal schwierig. Besonders, da die Sprache ja nicht gesprochen wird, sondern niedergeschrieben wurde, um gelesen und auch verstanden zu werden.

Schon allein dadurch gehen viele Nuancen, durchaus aber auch stärkere Unterscheidungen verloren.

Ich kann nicht in einem Dialekt schreiben, den niemand oder nur ein kleiner Teil der Leserinnen versteht. Ebenso kann ich gewisse Ausdrücke, die gesprochen vielleicht üblich sind, in einem geschriebenen Text nicht verwenden.

In England oder Amerika ist das einfacher. Da spricht ein Taxifahrer in London reinstes Cockney, und das wird auch, wenn es geschrieben dasteht, verstanden. In Amerika gibt es Unterscheidungen wie Südstaatenakzent oder Rappersprache, und auch das kann man so hinschreiben, daß die Figur dadurch charakterisiert wird.

In Deutschland, in einem deutschen Text geht das nicht so einfach. Sie als Autorin müssen sich sehr gut überlegen, wie das, was Sie einer Figur als Dialog in den Mund legen, bei der Leserin ankommt.

Ein Beispiel:

»Haste ma ’ne Mark?« oder heutzutage »Haste ma ’n Euro?«

Wem würden Sie diese Sprache und diesen Ausspruch zuordnen?

Ja, richtig. Das sind Schnorrer auf der Straße, die so reden. Es können Penner sein oder Jugendliche, die von zu Hause abgehauen sind, auf keinen Fall sind es aber Beamte der Stadtverwaltung.

Wenn eine Figur, zu der diese Ausdrucksweise nicht paßt, so redet, ist das ein eindeutiger Hinweis auf Ironie oder eventuell auf eine spielerische, nicht ernstzunehmende Situation.

Schreibanfängerinnen machen oft den Fehler, alle ihre Figuren gleich, also in derselben Art, reden zu lassen. Meist ist das die Art, wie die Autorin selbst gewohnt ist zu reden.

Bei einer 17jährigen Autorin spricht dann die 30jährige Lehrerin genauso wie der 50jährige Vater und die 17jährige Heldin selbst.

Das geht natürlich nicht. Die 17jährige sollte sich eher der Jugendsprache bzw. eines jugendlichen Stils bedienen, die Lehrerin hat durch ihre Ausbildung und ihre Unterrichtspraxis ebenso wie durch ihr Alter eine weit gehobenere Sprache entwickelt, und der Vater, der schon wieder einer anderen Generation angehört und zudem ein Mann ist (Männer sprechen anders als Frauen!) verwendet vielleicht Ausdrücke, die weder seine Tochter noch deren Lehrerin kennen oder benutzen würden.

Also studieren Sie Ihre Figuren ganz genau. Was für ein»Sprechtyp« ist Ihre Figur? Wie alt ist sie? Wie sprechen Menschen in diesem Alter und mit diesem Bildungsstand? Gibt es spezielle Ausdrücke, die nur eine bestimmte Schicht verwendet?

Wenn Sie wissen möchten, wie Menschen aus der Unterschicht sprechen, schauen Sie sich die Nachmittagstalkshows im Fernsehen an. Dort werden Leute, die meist eher der Unterschicht zuzuordnen sind, wie Zootiere zum Vergnügen der Zuschauer vorgeführt. Keine besonders schöne Art, Menschen zu behandeln, aber für Sie als Schriftstellerin hilfreich und lehrreich.

Auch wie diese Menschen untereinander miteinander umgehen. Die meisten reden nicht in normaler Lautstärke, sondern brüllen immer gleich los. Sie unterbrechen ihr Gegenüber, kaum daß es versucht, etwas zu sagen. Sie hören nicht zu. Sie verstehen nicht, was der andere ihnen sagen will. Sie denken nicht nach. Sie handeln rein emotional, aus dem Bauch heraus.

Auch ist Dialekt in diesen Sendungen sehr verbreitet. Viele der Teilnehmenden beherrschen das Hochdeutsche nicht.

Das alles können Sie in eine Charakterisierung Ihrer Figur übernehmen, wenn Sie eine solche Figur für Ihren Roman benötigen.

Bei Dialekt ist wie gesagt Vorsicht geboten. Er muß von der Leserin auch in schriftlicher Form verstanden werden können.

Und wie ist es mit einer Universitätsprofessorin? Wie kann ich die charakterisieren, wenn ich nicht gerade selbst Studentin oder Professorin bin?

Auch dabei ist das Fernsehen durchaus hilfreich. Schauen Sie sich die Sendungen an, die immer erst laufen, wenn Sie eigentlich schon schlafen, so um Mitternacht herum. Das ist die »Kulturzeit« oder die »intellektuelle Zeit« im Fernsehen. Anscheinend schlafen Intellektuelle nie oder eher vormittags.

Wenn Sie nicht aufbleiben wollen: Programmieren Sie die Sendungen in Ihren Videorecorder, er hat kein Problem damit, nachts wach zu sein.

Möglicherweise ist der Inhalt dessen, was in solchen Sendungen besprochen wird, für Sie nicht interessant, möglicherweise verstehen Sie noch nicht einmal, worüber die Leute reden (in solchen Sendungen hat man immer das Gefühl, daß bewußt darauf geachtet wird, alles so kompliziert und unverständlich wie möglich zu formulieren, auch wenn der Inhalt das gar nicht erfordert), aber wichtig ist die Atmosphäre, die in diesen Sendungen herrscht, und natürlich die Sprache.

Merken Sie sich die Art, wie die Leute in solchen Sendungen das Gesicht verziehen, wie sie Atem holen, um zu antworten, wie sie sitzen, wie sie Sätze bilden. Es kommt nicht auf den Inhalt an, nur auf die Art, wie das auf Sie wirkt.

Sie als Autorin müssen diese Art dann in Ihrem Buch so beschreiben können, daß die Leserin Ihre Universitätsprofessorin vor sich sieht, daß sie sie sprechen hört.

Wenn Sie beginnen eine Figur zu entwickeln, schreiben Sie einen kleinen Dialog, in dem Sie die Sprechweise dieser Figur festlegen. Versuchen Sie die Sprache dieser Figur zu hören und in Ihrem Inneren abzuspeichern, so daß Sie jederzeit, wenn diese Figur auftaucht, darauf zurückgreifen können.

Und denken Sie daran: Eine Figur, deren Sprache nicht zu ihrem Äußeren oder ihrer Lebensweise paßt, ist lächerlich.

Wenn Sie also nicht unbedingt eine Komödie oder Satire schreiben wollen, muß die äußere Vorstellung der Figur, die Sie Ihrer Leserin vorgegeben haben, mit deren Sprache übereinstimmen.

Sonst wird sich Ihre Leserin vielleicht beim Lesen köstlich amüsieren – auch eine schöne Sache, die Sie mit Ihrem Schreiben erreichen können, übrigens –, aber vielleicht nicht verstehen, was Sie ihr wirklich sagen wollen.


»Show, don’t tell« – sagt Ihnen das etwas?

Auf deutsch bedeutet dieser Satz: »Zeige, erzähle nicht«. Auf English klingt es griffiger, im Deutschen ist es besser, den Satz umzudrehen:

»Beschreib nicht, zeige!«

Diese Regel gibt es schon lange, insbesondere englischsprachige Autorinnen und Autoren sind es gewöhnt, so zu schreiben. Das macht viele der im Original englischsprachigen Bücher auch zu beliebtem Lesefutter in vielen anderen Ländern und Sprachen der Erde.

Warum ist das so?

Nun, die Erklärung ist recht einfach. Unser Gehirn arbeitet in erster Linie bildhaft, es verarbeitet Eindrücke, die durch die Augen aufgenommen werden oder sich in Bilder umsetzen lassen, schneller und besser als andere Sinneseindrücke.

Insbesondere abstrakte Darstellungen und Gedanken sind für unser Gehirn erst einmal »schwere Kost«. Sie müssen im Gehirn in etwas Verständliches, für uns Begreifbares, Sichtbares umgesetzt werden.

Das kann viele Umwege erfordern, und meist erlangt man diese Fähigkeit erst nach langjähriger Übung, erst als Erwachsener. Kinder sind im Prinzip unfähig, abstrakt zu denken. Für sie ist alles konkret. Deshalb verstehen Kinder Ironie und Satire nicht, die darauf beruht, daß man das eine sagt, aber etwas anderes damit meint. Für Kinder ist das Gesagte auch das Gemeinte, es gibt keine Zwischenstufe.

Grundsätzlich hätten wir es auch gern als Erwachsene so. Menschen sind im Prinzip faul. Es gibt Ausnahmen, aber im allgemeinen bevorzugen die meisten Menschen es eher, nicht zu viel denken zu müssen, bevor sie etwas erfassen, das heißt in ihrem Gehirn zuordnen können.

Gerade wenn man einen Beruf hat, in dem man viel abstrakt denken muß – praktisch alle Büroberufe gehören dazu –, wünscht man sich deshalb als Entspannung leichte Lektüre, vielleicht auch einen einfach zu erfassenden Fernsehfilm, der direkt das zeigt, was er vermitteln will.

»Leichte Lektüre«, normalerweise Unterhaltungsliteratur, sollte deshalb eher mit Bildern arbeiten als mit Worten.

Ich habe bereits in Teil 2 dieser Reihe darauf hingewiesen, daß ein »schelmisches Augenzwinkern« eine Figur besser beschreibt als »Sie hatte Humor«, das gilt ebenso für alle anderen Charaktereigenschaften, die man einer Person zuordnen kann.

Absolut verboten sind:

»Sie war . . .« und »Sie hatte . . .«, wenn danach die Beschreibung einer Charaktereigenschaft oder eines äußeren Kennzeichens folgt!

Beispiele:

Sie (oder ich) war . . .

  • blond
  • mutig
  • böse
  • traurig
  • niedlich . . .

Sie hatte . . .

  • blaue Augen
  • eine große Nase
  • einen sinnlichen Mund
  • eine sympathische Art . . .

So etwas darf keinesfalls in Ihrer Geschichte stehen.

Sehen Sie einen solchen Satz oder schreiben Sie ihn gerade? Streichen!

Überlegen Sie sich, wie Sie dasselbe ohne »war« oder »hatte« beschreiben können.

Greifen wir uns einfach ein Beispiel heraus. Nehmen wir: »Sie war mutig«.

Wie könnte man diese Eigenschaft darstellen, ohne daß das Wort »mutig« darin vorkommt? Ohne daß die Charaktereigenschaft direkt erwähnt wird?

Das erste, was mir dabei einfällt, ist: Ein mutiger Mensch geht Risiken ein, die andere, weniger mutige, scheuen.

Also – welches Risiko könnte unsere Figur eingehen?

Sie haben bis zu diesem Zeitpunkt schon einiges über Ihre Figur gesammelt. Ihre Figur hat einen Namen, sie hat einen bestimmten Stil, sich zu kleiden und zu laufen, sie hat eine bestimmte Art zu sprechen.

Was geht aus Ihrer bisherigen Figurenbeschreibung über die Risikofreudigkeit dieser Figur hervor? Trägt sie stets Sachen aus dem Second-Hand-Shop? Macht sie sich nichts aus dem, was die Leute darüber denken und sagen? Fährt sie mit dem Fahrrad zur Arbeit und besitzt kein Auto? Kauft sie ausschließlich Bio-Gemüse? Hat sie ein gefährliches Hobby wie z.B. Bungee-Jumping?

Suchen Sie in Ihrer Figurenbeschreibung nach Hinweisen, die die Figur mutig erscheinen lassen könnten.

Wenn Sie keine finden, fügen Sie sie hinzu.

Wir reden hier nicht von großen Taten, die überall in der Zeitung stehen, von Lebensrettung und Todesgefahr, wir reden von einem Menschen, der sich im Alltag da mutig verhält, wo andere feige oder gleichgültig sind. Der eingreift, auch wenn er sich dadurch selbst in Gefahr begibt, verletzt oder gedemütigt zu werden. Der sich aufgrund dieser Bereitschaft positiv von anderen Menschen unterscheidet.

Wichtig ist also eine ganz alltägliche Situation. Im Straßenverkehr zum Beispiel.

Unsere Figur kommt auf dem Fahrrad angestrampelt (sie hat ja kein Auto), das Bio-Gemüse hinten im Korb und wie immer in Sachen gekleidet, die der Mode von vor fünf oder zehn Jahren entsprechen.

Ein betrunkener Autofahrer gerät auf den Bürgersteig, dort steht eine alte Frau, eine Mutter mit Kinderwagen, ein Kind mit einem Dreirad, ein Mann, der so in seine Zeitung vertieft ist, daß er nichts wahrnimmt, zwei Jungs, die sich streiten . . .

Irgend jemand, der nun durch dieses auf dem Bürgersteig fahrende Auto bedroht wird, es nicht mitbekommt oder nicht schnell genug ist, ihm auszuweichen.

Unsere junge Frau auf dem Fahrrad sieht das, erfaßt blitzschnell die Situation, springt vom Rad, läßt es auf den Bürgersteig knallen, das Bio-Gemüse fliegt durch die Luft, eine einsame Tomate zerplatzt am Laternenpfahl, daß das Innere herunterläuft wie Blut, und die junge Frau reißt die gefährdete Person einfach mit sich zur Seite oder zu Boden.

Das Auto knallt in den Laternenpfahl. Es hätte die gerettete Person vielleicht nicht getötet, aber verletzt, vielleicht auch nur erschreckt, was für die alte Frau einen Herzinfarkt zur Folge gehabt hätte . . . alles ist möglich.

Wichtig ist, diese Szene zeigt: die so friedlich in Hippie-Look und Birkenstocks daherkommende junge Frau mit einem Korb voller Bio-Gemüse ist mutig.

Das Wort kommt aber in der ganzen Beschreibung kein einziges Mal vor.

Übrigens: die »blutige« Tomate hat natürlich auch eine Bedeutung. Sie zeigt an, daß es sich um eine gefährliche Situation handelt, die auch hätte schiefgehen können.

Und nun habe ich eine Aufgabe für Sie:

Schreiben Sie eine Szene, die darstellt: »Sie war traurig« oder »Sie war glücklich«.

Die Wörter Trauer oder Glück bzw. traurig oder glücklich (oder Wörter, die dasselbe bedeuten, wie niedergeschlagen, fröhlich usw.) dürfen jedoch in der ganzen Szene nicht vorkommen.

Denken Sie sich eine Situation aus, bei der die Leserin zum Schluß sagt: »Schrecklich, sie ist ja so furchtbar traurig« oder »Wie schön, sie ist glücklich wie noch nie«.

Sie haben für diese Szene eine Woche Zeit. Bis spätestens in einer Woche sollten Sie Ihre Szene hier als Kommentar zu diesem Artikel einstellen, um anderen Schriftstellerinnen zu zeigen:

Das ist »Show, don’t tell«.


Die Hauptfigur

Immer wieder bekommen wir Manuskripte zugeschickt, die eigentlich gar nicht so schlecht geschrieben sind, aber irgendwie fehlt der letzte »Kick«, man liest und liest und liest und wird einfach nicht in die Geschichte hineingezogen.

Oftmals liegt der Grund dafür in einer schwachen Hauptfigur. Wenn die Hauptfigur ein Jammerlappen ist, unentschlossen und unfähig zu handeln oder immer nur versagt, interessiert die Geschichte niemand.

Im täglichen Leben begegnen wir solchen Figuren oft, wir sind daran gewöhnt, und wenn es nicht allzu schlimm ist, akzeptieren wir die Menschen einfach, wie sie sind. Wenn sie allerdings nur jammern und keinen anderen Zustand kennen, gehen wir ihnen aus dem Weg.

In einem Roman jedoch akzeptieren wir eine solche Figur als Hauptfigur nicht. Als Nebenfigur, die nur kurz einmal auftaucht (oder auch länger), ist es möglich, sich mit einer solchen Figur anzufreunden, sie sogar zu mögen, zumal wenn sie auch einmal positive Eigenschaften zeigt, aber als Hauptfigur – niemals.

Denken wir nur an »Joxer«, Xenas und Gabrielles tolpatschigen Begleiter. Wir mögen ihn, weil er immer guten Willens ist, weil er offensichtlich Minderwertigkeitskomplexe hat, weil er eine sehr menschliche Figur ist. Aber würden wir die Serie anschauen, wenn sie »Joxer« hieße und nicht »Xena«? Wohl kaum.

Eine starke Figur

Xena ist eine starke Figur, die ihre Schwächen hat, aber sie ist immer durchsetzungsfähig, sie weiß, was sie will, sie überwindet sich, auch Dinge zu tun, die ihr widerstreben, um anderen zu helfen. Joxer kann noch nicht einmal sich selbst helfen.

Sicherlich, manchmal gefällt es uns, in einem Buch zu lesen, daß es anderen auch nicht besser geht als uns, daß sie nicht glücklicher sind als wir, daß es ihnen vielleicht sogar schlechter geht als uns selbst und wir uns dadurch besser fühlen können.

Aber wollen wir das 500 Seiten lang lesen? Nein.

Deshalb sollten Sie in Ihrem Roman darauf achten, daß Ihre Hauptfigur Stärken und Schwächen hat, zum Schluß jedoch stärker ist als die meisten realen Figuren, die wir kennen.

Ausgewogenheit

Nur Stärken, das geht auch nicht. Eine solche Figur ist unsympathisch. Ein Mensch, dem immer alles gelingt, der immer alles richtig macht, der nie versagt, der keinerlei Zweifel an sich hat oder an der Art, wie er sein Leben führt – das ist meistens nicht besonders interessant. Damit eine Figur interessant wird, muß sie auch Schwächen haben, sie muß Schwierigkeiten haben, das zu erreichen, was sie erreichen will. Eventuell muß es sogar unmöglich sein, daß sie glücklich wird.

Nehmen wir als Beispiel wieder Xena. Sie ist stark, praktisch unbesiegbar, wer immer ihr in die Quere kommt, muß sich in acht nehmen. Physisch ist sie kaum zu schlagen. Sie fliegt durch die Luft wie Superman, hat Waffen, die niemand aufhalten kann, kämpft für die Armen und Unterdrückten und gewinnt immer.

Eine langweilige Figur, oder?

Deshalb haben die DrehbuchautorInnen ihr eine Vergangenheit verpaßt, die das alles relativiert. Xena war nicht immer gut. Sie war eine Kriegsherrin, sie hat Heere geführt, die blutige Schlachten geschlagen haben – gegen andere Heere, aber auch gegen Unschuldige, gegen Frauen und Kinder. Sie ist für viele, viele Massaker verantwortlich.

Tja, jetzt sieht die Sache schon anders aus. Jemand, der immer nur gut ist, ist langweilig, aber jemand, der einmal böse war und sich dann versucht zum Guten zu wandeln – das könnte eine interessante Figur werden.

Xena versucht das wiedergutzumachen, was sie angerichtet hat, indem sie nun auf der anderen Seite kämpft und nicht mehr mit einem Heer voller Söldner, sondern auf sich allein gestellt.

Das Alter Ego

Nicht so ganz allein, wie wir wissen, denn es gibt ja Gabrielle, die schon bald zu ihr stößt, und aus den beiden Einzelpersonen Xena und Gabrielle werden »Die Unzertrennlichen«.

Gabrielle ist wirklich eine höchst langweilige Figur, sie ist immer nur gut, kann zu Anfang noch nicht einmal sich selbst verteidigen, weil sie keine Gewalt anwenden kann, selbst wenn ihr Leben bedroht ist. Zudem ist sie eine Künstlerin, sie schreibt Epen, Gedichte, will eine Bardin werden.

Das ist das einzig Interessante an ihr, denn »Barde« war ein reiner Männerberuf, für Frauen verboten. Daß sie diesen Beruf wählt, ist also eine Grenzverletzung, eine Tabuüberschreitung.

Dennoch – eine Serie namens »Gabrielle« würde uns genausowenig interessieren wie eine Serie namens »Joxer«. Beide Figuren können nur als Randfiguren existieren, Joxer in der komischen Rolle und Gabrielle als Xenas treue Freundin, die der ehemaligen Kriegsheldin ab und zu einmal etwas darüber erzählt, wie die Menschen wirklich sind und was sie wirklich wollen.

Die Einzelgängerin

Xena ist nämlich, obwohl sie durchaus gut sein will, keine Menschenfreundin. Sie ist eine Einzelgängerin, deren Begegnungen mit Menschen eher zufällig und gezwungenermaßen erfolgen, ebenso wie ihr Einsatz für die Gerechtigkeit.

Gabrielle läuft den Menschen hinterher (zuallererst Xena), Xena flieht vor ihnen. Darin liegt ein gewisses Konfliktpotential.

Einzelgänger sind generell interessante Figuren, aber nur dann, wenn sie irgendwann einmal eine Entwicklung durchlaufen und am Ende dieser Entwicklung bereit sind, sich wenigstens zu einem kleinen Teil auf Menschen einzulassen. Ein Einzelgänger, der immer Einzelgänger bleibt, über dessen Innenleben man nichts erfährt, nicht, warum er so ist, nicht, ob er es genießt oder haßt, nicht, ob er sich ändern will, wird das Interesse des Publikums nicht auf Dauer fesseln können.

Deshalb braucht Xena Gabrielle, die dieses Innenleben aus ihr herauslockt. Gabrielle ist die Stichwortgeberin für Xenas Psyche.

Der lesbische Liebesroman

Für den lesbischen Liebesroman sind Xena und Gabrielle deshalb zu so etwas wie einem Standardvorbild geworden. Es gibt ungeheuer viel Fanfiction über Xena, sowohl in ihrer von der Serie vorgegebenen Originalumgebung als auch in übertragener Form wie beispielsweise bei unseren Autorinnen Melissa Good und Brenda Miller. Beide haben als Fanfiction-Autorinnen angefangen.

Allein daß es so viel Fanfiction über Xena und Gabrielle gibt zeigt, wie gut ausgedacht die Figuren sind. Es zeigt auch, daß etwas in der Serie fehlt, nämlich der lesbische Teil, der immer nur im Subtext in der Serie kolportiert wird, aber nie an der Oberfläche. (Ja, ich weiß, die eine Kußszene – aber das war wirklich harmlos. )

Warum die Serie jedoch trotz der merkwürdigen Umgebung, der ungewöhnlichen Gestalt einer Frau als Kriegsherrin und der oftmals unverständlichen Bezüge auf jede Art der Mythologie, angefangen von der griechischen über die chinesische bis hin zur christlichen, so erfolgreich war, das liegt definitiv an der starken Hauptfigur.

Xena jammert nicht

Xena ist voller Selbstzweifel und Schuldgefühle über das, was sie getan hat, aber sie jammert nie. Sie verdrängt lieber. Manchmal holt Gabrielle etwas aus ihr hervor, was sie nicht zeigen will, dann erscheint sie verletzlich und menschlich, aber das hält nie lange an, denn schon muß wieder das nächste Dorf vor der Vernichtung gerettet werden.

Trotz ihrer vielen guten Taten wollen die meisten Menschen zuerst nichts mit Xena zu tun haben, wegen ihrer Vergangenheit. Sie verachten sie, fürchten sie, hassen sie, vertreiben sie aus ihrem Dorf, bis sie sie dann brauchen und um ihre Hilfe flehen. Egal wie schlecht die Dorfbewohner sie behandelt haben, Xena lehnt nie ab zu helfen und sie verlangt nie eine Belohnung. (Man fragt sich, wovon Xena und Gabrielle leben, aber das fragt man sich bei solchen Serien ja öfter.)

Wenn Sie also einen Roman schreiben wollen, erschaffen Sie eine tatkräftige Protagonistin, kein Weichei. Erschaffen Sie keine Versagerin, sondern eine Frau, die weiß, was sie will, und das auch meistens bekommt (aber nicht immer, sonst wird sie zu unsympathisch). Erschaffen Sie eine Hauptfigur, die handelt, nicht eine, die immer nur darüber nachdenkt, was sie vielleicht tun könnte.

Handlung erzeugt Spannung. Denken erzeugt (meistens) keine.

Ihre Hauptfigur muß Stärken und Schwächen haben. Die Stärken sollten offensichtlich sein, die Schwächen erst langsam zum Vorschein kommen und sie sympathisch machen.

Vor der Tür

Überlegen Sie einmal, wie Ihre Figur sich verhalten würde, wenn Sie sie vor eine geschlossene Tür stellen, hinter der jemand sitzt, den Ihre Figur sprechen will.

Wird sie, wie in Kafkas Geschichte mit dem Türhüter, vor der Tür verharren und warten, bis sie hineingebeten wird, oder wird sie einfach hineingehen und eventuelle Konsequenzen tragen?

Eine Figur, die vor der Tür stehenbleibt, ist eine schwache Figur. Sie wartet lieber ab als zu handeln. Sie ist nicht als Hauptfigur für einen Roman geeignet. Die Leserinnen werden eine solche Figur verachten und sich langweilen.

Können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie die Geschichte von Kafka zum ersten Mal gehört oder gelesen haben? Meist geschieht das in der Schule, und man versteht die Geschichte nicht, weil man noch zu jung ist. Aber ist es nicht so, sobald man die Geschichte versteht, daß man denkt: »Was für ein Dummkopf! Warum ist er nicht einfach hineingegangen?«

Genauso werden Ihre Leserinnen über Ihre Hauptfigur denken, wenn sie nicht stark genug ist, das banale Hindernis einer Tür zu überwinden.

Xena würde die Tür eintreten.


Die Figuren machen die Geschichte

Wenn Sie den Kurs »Wie baue ich einen Roman auf« aufmerksam verfolgt haben, werden Sie erkannt haben, daß es bislang immer nur um die Figuren ging, die Charaktere, die die Handlung bestimmen sollen. Von Handlung war bisher jedoch noch nicht viel die Rede.

Handlung ist wichtig, sehr wichtig sogar, aber mit der Handlung kann ich mich erst beschäftigen, wenn ich weiß, wer handelt.

In Teil 5 habe ich Xena als Beispiel genommen. Die Serie »Xena« ist eine Actionserie, Handlung steht im Mittelpunkt, die Charaktere werden sofort handelnd eingeführt, das ist typisch für Action.

Für einen lesbischen Liebesroman, der vermutlich nicht dem Genre Action zuzuordnen ist , gilt das nur bedingt. Hier müssen wir erst einmal die Figuren kennenlernen, damit wir mit ihnen mitfühlen können. Dieses Kennenlernen kann durchaus durch »Show don’t tell« erfolgen, das heißt, die Figur tut etwas, und dadurch erkennt man, wie sie ist. Wenn die Figur jedoch von Aktion zu Aktion jagt, von Szene zu Szene, wird sie uns schnell langweilen. Und wenn ihr etwas passiert, werden wir das schnell vergessen.

Wir werden nur dann um eine Figur trauern, mit ihr mitleiden, an ihrem Schicksal interessiert sein, wenn wir sie in unsere Familie aufnehmen, wenn sie uns nahe ist.

Wenn ich ein Buch lese, möchte ich mich in mindestens eine der Figuren verlieben können. Deshalb muß ich als Schriftstellerin Figuren erschaffen, in die man sich verlieben kann. Und zuallererst muß ich mich selbst in meine Figuren verlieben. Denn: Wenn ich mich nicht einmal in meine Figuren verlieben kann, wie soll es dann die Lektorin oder Verlegerin tun – oder die Leserin?

Es muß noch nicht einmal die Hauptfigur sein, in die ich verliebt bin, aber eine Figur muß es sein. Diese eine Figur muß mir so sehr ans Herz wachsen, daß ich 24 Stunden am Tag mit ihr zusammensein möchte, daß ich mich nach ihr sehne und soviel wie möglich über sie erfahren möchte.

Stellen Sie sich vor, Sie lesen in der Zeitung:

Heute ereignete sich ein tragischer Unfall.
Eine Frau kam dabei zu Tode.

Das ist tragisch, und das berührt uns sicher auch, aber wir kennen diese Frau nicht, wir haben keine Beziehung zu ihr, wir werden kurz traurig sein, und bald haben wir die Meldung vergessen.

Ganz anders ist es, wenn die Frau uns vorgestellt wird:

Heute ereignete sich ein tragischer Unfall. Eine junge Mutter von 21 Jahren, die gerade auf dem Wege war, mit ihrem sieben Monate alten Baby ihren 22jährigen Ehemann, der dort nach einer schweren Operation endlich aus dem Koma erwacht war, im Krankenhaus zu besuchen, wurde von einem Raser von der Fahrbahn gedrängt und überschlug sich. Sie war sofort tot. Ihr sieben Monate alter Säugling überlebte, weil er aus dem Wagen geschleudert wurde.

Das hält uns schon viel länger fest. Nicht nur eine Frau, sondern auch ein Kind. Nicht nur ein Kind, sondern ein noch sehr kleines Kind. Ein Kind, das die Mutter noch braucht. Und eine junge Frau, die ihr ganzes Leben noch vor sich hat. Dann noch ein junger Mann, der offensichtlich auch um sein Leben kämpfen muß und dem nun die Frau genommen wird, der allein mit dem Kind zurückbleibt, das er nicht versorgen kann. Das Kind wird seine Mutter nie kennenlernen, sich nie an sie erinnern. Und ein Raser, ein verantwortungsloser Kerl, der dieses junge Glück ohne Sinn und Verstand zerstört.

Da hat man alle Bestandteile einer guten Geschichte: Sympathische Protagonisten, ein Bösewicht, ein tragisches Unglück, das gleich drei Leben überschattet, oder vermutlich noch mehr, denn wahrscheinlich haben die junge Frau und der junge Mann ja noch Eltern, Großeltern, Verwandte, Freunde.

Noch schlimmer ist es natürlich, wenn ein solches Unglück jemanden betrifft, den wir kennen, oder sogar ein Mitglied unserer Familie. Das kann unser ganzes Leben erschüttern und aus der Bahn werfen.

Deshalb muß eine Figur, bevor ihr etwas geschieht, erst einmal in den Kreis unser »inneren Familie« aufgenommen sein. Wir müssen sie kennen und lieben, wir müssen an ihrem Schicksal interessiert sein und um ihr Leben bangen.

Beate springt von der Brücke

Wenn der erste Satz Ihres Buches lautet: »Beate sprang von der Brücke«, wird das der Leserin nicht einmal ein müdes Schulterzucken entlocken, denn wer ist Beate?

Nun möchten wir natürlich nicht, daß Beate gleich zu Anfang von der Brücke springt und tot ist. Sie soll ja unsere Hauptfigur sein. Gut, sie könnte von der Brücke springen und nicht tot sein, vielleicht querschnittgelähmt überleben oder den Rhein hinuntergeschwemmt werden und ohne Gedächtnis wieder an Land kommen.

Alles spannende Geschichten, aber nicht unsere. Unsere Beate ist keine Selbstmörderin, auch wenn sie aufgrund ihres Lebens vielleicht Grund dazu hätte. Unsere Beate ist eine Frau, die sich durchbeißt.

Und das erklärt sich aus ihrem Hintergrund, ihrer Biographie.

Unsere Beate ist die Tochter einer ledigen Mutter. Schon einmal eine schwierige Ausgangssituation, denn keinen Vater zu haben, kann als Kind sehr störend sein. Man wird von anderen Kindern gehänselt, man fühlt sich minderwertig, man muß sich immer verteidigen. Fragen an die Mutter ergeben keinen Sinn, denn die Mutter spricht vom Vater immer nur als dem »Strolch«, dem »miesen Drückeberger« oder dem »Schwein«. Beate erfährt nie, wer ihr Vater ist.

Einmal, als Beate in der Schule wieder gefragt wird, was ihr Vater von Beruf macht, ist es ihr so peinlich, zu sagen, daß sie keinen Vater hat und daß sie seinen Beruf nicht kennt, daß sie sich einen Traumvater erfindet. Sie stattet ihn mit all den Eigenschaften aus, die sie sich von einem Vater wünscht. Er ist reich, Bankdirektor, sieht umwerfend aus, spielt mit Beate, so viel er kann, schenkt ihr dauernd teure Sachen und fährt mit Beate und ihrer Mutter jedes Jahr in die schönsten und teuersten Urlaubsgebiete.

Als die Lehrerin der Mutter daraufhin zu ihrer neuen Ehe gratuliert, fliegt die Geschichte auf, und Beate wird, weil sie gelogen hat, zuerst grün und blau geschlagen und dann zu zwei Wochen Hausarrest verurteilt, den sie nur für den Schulbesuch verlassen darf. Beate erinnert sich ihr ganzes Leben lang an diese Demütigung und nimmt sich vor, sich nie wieder erwischen zu lassen, wenn sie sich etwas ausdenkt.

Das allerschlimmste an der Sache ist: Die Lehrerin, die die Sache hat auffliegen lassen, ist Beates Lieblingslehrerin. Beate war vom ersten Schultag an in sie verliebt. Diese Lehrerin ist jung und hübsch und scheint ziemlich unbeschwert. Sie ist das Gegenteil von Beates Mutter, die immer mit Sorgen zu kämpfen hat und jeden Pfennig zweimal umdrehen muß, bevor sie ihn ausgibt. Wenn Beate neue Schuhe braucht – was ständig der Fall ist, wie Beates Mutter verzweifelt bemerkt, weil Beate ja dauernd wächst –, muß ihre Mutter darauf sparen und versagt sich sogar das Essen, damit sie das Geld für ihr Kind zusammensammeln kann.

Beate kann aufgrund ihrer Lüge ihrer Lieblingslehrerin lange Zeit nicht in die Augen sehen – was Beate sehr bedauert, weil die Lehrerin sehr hübsche Augen hat –, obwohl sie bemerkt, daß die Lehrerin sie danach noch netter behandelt als vorher schon. Wahrscheinlich tut Beate ihr leid. Das demütigt Beate zusätzlich, aber sie kann trotzdem nicht von ihrer Liebe zu ihrer Lehrerin lassen, was das Muster für ihr ganzes weiteres Leben sein wird. Sie wird sich immer in Frauen verlieben, denen sie hinterherläuft, die sie aber nicht lieben, sondern höchstens bemitleiden.

Beate hat auch einen Feind auf der Schule, einen rothaarigen Jungen, der sie immer kneift, ihr böse Sachen hinterherruft wie z. B. »Lumpenpack« und stets versucht, ihr Juckpulver in den Pullover zu streuen. Einmal streut er ihr Juckpulver in ihre Sportsachen, und Beate hat daraufhin ein sehr peinliches Erlebnis in der Sportstunde.

Diesen Jungen bekämpft Beate mit allen Mitteln. Sie muß sich einiges einfallen lassen, um ihn zu schlagen. Zwar ist sie in der Schule weit besser als er, aber das interessiert ihn nicht, also muß sie lernen, ihn da zu schlagen, wo es ihm wehtut, bei seinen Freunden zum Beispiel oder beim Sport oder bei den Mädchen. So lernt Beate sich im Leben durchzusetzen.

Eines der schlimmsten Erlebnisse für Beate ist es, als sie größer ist und eine Lehre macht, daß eine Freundin, der sie vertraut hat, sie hintergeht. Beate hat dieser Freundin im Vertrauen davon erzählt, daß sie auf Frauen steht, und diese Freundin spinnt daraus eine Intrige gegen Beate, die Beate die Lehrstelle kostet und viel Spott und Hohn von den Kolleginnen und Kollegen einbringt. So lernt Beate, daß man sich auf niemand verlassen kann und daß man niemand vertrauen sollte als sich selbst.

Beates Traumberuf wäre Polizistin gewesen, aber sie wurde bei der Bewerbung abgelehnt, weil sie eine Brille trägt. Daraufhin trägt Beate, nachdem sie es sich leisten kann, nur noch Kontaktlinsen.

Beates erste große Liebe ist eine Frau, die etliche Jahre älter ist als Beate. Mit ihr hat Beate das erste Mal Sex und fühlt sich wie auf Wolken schwebend, als wäre sie jetzt endlich ein vollkommener Mensch. Leider ist diese erste große Liebe verheiratet und sucht sich nur immer wieder junge Mädchen, wenn sie sich mit ihrem Mann gestritten hat. Wieder eine Enttäuschung, die Beate härter macht.

Einmal, im Urlaub, hat Beate das Gefühl, jetzt endlich angekommen zu sein. Sie wünscht sich, in ihrem Traumland bleiben zu können. Aber das geht nicht, weil sie nach dem Urlaub nach Hause zurück muß. Sie muß ja Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen.

Man sieht, Beate hätte durchaus den einen oder anderen Grund, von einer Brücke zu springen, aber sie tut es nicht. Sie ist nicht der Typ. Wenn nun aber etwas mit Beate geschieht, nachdem wir sie so gut kennengelernt haben, wird Beate uns nicht mehr gleichgültig sein. Wir werden mit ihr leiden und um ihr Wohl besorgt sein.

Wenn wir also nun beobachten, daß Beate über eine Brücke geht, sich rechts und links umblickt und dann am Geländer hochzieht, werden wir laut schreien: »Nein, tu das nicht! Es wird alles wieder gut!«

Aber wie gesagt: Beate springt nicht von Brücken. Doch wir können mit ihr mitfiebern und hoffen, daß sie noch ihr Glück findet, eine Frau, die sie liebt, und einen Sinn im Leben, der nicht nur darin besteht, jeden Pfennig zusammenzukratzen und zu sparen. Denn wir wissen jetzt: Sie hat es verdient, nach allem, was sie schon durchgemacht hat.

Deshalb ist es so wichtig, daß Sie Biographien für Ihre Figuren erfinden, daß Sie wissen, was jede Ihrer Figuren zu jedem Zeitpunkt in ihrem Leben gemacht hat, in der Schule, in der Lehre, im Studium, im Beruf, in Liebesdingen, in der Familie.

Nehmen Sie Ihre Figuren in Ihre Familie auf, damit auch die Leserin sie beim Lesen als Familienmitglieder erkennt.


Zum Setting habe ich schon einiges unter »Wie man eine Kurzgeschichte schreibt, Teil 6« gesagt, dasselbe, was für die Kurzgeschichte gilt, gilt auch für den Roman, deshalb gehe ich hier gleich zur Handlung weiter, auf neudeutsch auch gern »Plot« genannt.

»Wie plotte ich am besten?« fragen immer wieder unerfahrene Autorinnen und Autoren, in der Hoffnung auf den ultimativen Trick. Andreas Eschbach beispielsweise hat in einem seiner Bücher einen Autor zum Protagonisten gemacht (sollte man sich immer gut überlegen – das könnte ins Auge gehen ), und daraufhin wurde er gefragt, ob es seine eigene Methode ist, mit der er den Autor dort plotten läßt.

Zur Erklärung: Der Autor in Eschbachs Buch verwendet dafür riesige Papierbahnen, die er an die Wand hängt, bis das ganze Zimmer mit diesen Papierbahnen gepflastert ist. Auf diesen skizziert er dann den Plot.

Nein, sagt Andreas Eschbach, so macht er es nicht. Aber wie macht man es denn nun?

Ehrlich gesagt fände ich riesige Papierbahnen sehr unpraktisch. Außerdem braucht man dafür ein riesiges Zimmer mit leeren Wänden, was ich etwas öde fände. Was macht man dann mit dem Zimmer, wenn man gerade nicht plottet? Die leeren Wände anstarren?

Keine gute Idee, würde ich sagen. Und heutzutage auch gar nicht mehr nötig, denn wozu gibt es Computer?

Was sich sehr gut zum Plotten eignet, ist das sogenannte »Mind Mapping«. Das ist eine Methode, die eigentlich für Projektleiter und Manager erfunden wurde, damit sie ihre Projekte und Ressourcen besser planen können.

Ein Buch zu schreiben ist ganz sicher auch ein Projekt, und die Ressourcen, das sind die Figuren und die Orte der Handlung, die Abläufe, die Dramaturgie.

Wenn ich also nun plotten will, sollte ich mit dem groben Rahmen anfangen, das wären die Hauptfiguren und die Hauptorte der Handlung, ebenso ein grober Ablauf von Anfang bis Ende. Zusammengefaßt sollte sich das in etwa lesen wie ein erweiterter Klappentext, allerdings inklusive der Festlegung des Endes, der Auflösung des Romans.

Wie schon in den vorherigen Kapiteln von »Wie baue ich einen Roman auf?« sind das entscheidende die Figuren, die Menschen. Eine Geschichte ohne Menschen, in die man sich hineinversetzen kann, die Probleme haben, wie man sie auch selbst kennt, und andere, die man selbst vielleicht nicht kennt, funktioniert nicht.

Insbesondere die Hauptfigur sollte in irgendeiner Form faszinierend sein, ein normales Leben reicht da nicht aus. Sie sollte Dinge erleben, die im Alltag nicht so einfach vorkommen, die man nicht jeden Tag erlebt.

Meist ist deshalb die Hauptfigur schon von Anfang an in irgendeiner Weise etwas Besonderes. Die Chefin eines weltweit operierenden Konzerns zum Beispiel. Allerdings sollte man sich als Autorin dann sehr gut vorbereiten und recherchieren, denn wer von uns leitet schon einen weltweit operierenden Konzern? Wenn man die Chefin dann für andere Kaffee kochen oder untergeordnete Arbeiten ausführen läßt, die normalerweise die Sekretärin oder ein kleiner Angestellter erledigt, wirkt das peinlich.

Es sei denn, sie ist der Typ, der immer alles selbst machen muß, was wiederum zum Problem, zum Konflikt im Roman werden kann, denn das führt ganz sicher zu Überforderung und Zeitmangel und damit zu Fehlern, die den ganzen Konzern gefährden könnten. Und das könnte sie ihren Job kosten. Was wiederum für so einen Menschen, für den der Job alles ist, zu einem unlösbaren Problem werden kann, denn mit dem Job verliert sie ihr ganzes Leben, sie hat nichts anderes, was ihr Leben ausfüllt.

Gehen wir einmal davon aus, das ist der Ausgangspunkt des Plots. Linda, ehemals Chefin eines weltweit operierenden Konzerns, sitzt auf dem Geländer einer Brücke und denkt über Selbstmord nach. Am heutigen Tag ist ihr mit sofortiger Wirkung gekündigt worden, weil sie immer alles selbst machen wollte und dadurch den Überblick verloren hat.

Das ist – wie wir alle wissen – noch lange kein Grund, einen Manager zu entlassen. Im Gegenteil, Manager, die Millionen und Milliarden in den Sand gesetzt haben, finden sofort wieder einen Job. Allerdings sind das meistens Männer, die sich gegenseitig die Stange halten. Als Frau hat man dieses Kumpelnetz nicht, da werden Fehler nicht verziehen und durch hohe Abfindungen inklusive eines neuen, noch besser bezahlten Jobs belohnt.

Linda wollte also bei den Jungs mitspielen und hat es nicht geschafft. Ihr Leben ist für sie sinnlos geworden.

Und nun erinnern wir uns an Beate. Beate war die Frau, die uns im vorigen Kapitel als Beispiel gedient hat. Beate hatte ein wirklich hartes Leben, sie stammt aus einfachen Verhältnissen, und einen weltweit operierenden Konzern kennt sie nur vom Hörensagen. Für sie war und ist das Leben ein ständiger Kampf, selbst um die Miete und die einfachsten Dinge des täglichen Lebens.

Etwas, das Linda so nie kennengelernt hat. Zwar mußte sie auch immer für ihren Lebensunterhalt arbeiten (zumindest seit sie sich dagegen entschieden hat zu heiraten), aber sie hatte eine gute Ausbildung, Abitur, Studium, Auslandsaufenthalte, und ist gleich in der Gehaltsoberklasse eingestiegen.

Und nun verbindet diese beiden Frauen die Brücke, von der sie beide aus unterschiedlichen Gründen springen wollen, um sich umzubringen. Aber nein, Beate bringt sich nicht um, das hatten wir ja schon im letzten Kapitel festgelegt. Sie ist das harte Leben gewöhnt, sie hat zwar nichts zu lachen, aber sie gibt nicht auf.

Ganz anders Linda, die an den Erfolg gewöhnt ist. Ein hart erarbeiteter Erfolg zwar, aber der ihr nun genommen wurde – ohne Aussicht ihn wiederzuerlangen. Sie sieht keine Alternativen mehr, denn anders als Beate kann sie sich ein Leben auf einfachster Ebene nicht vorstellen.

Was geschieht, wenn zwei so unterschiedliche Frauen sich begegnen? Linda springt aus Verzweiflung von einer Kölner Brücke in den Rhein. Beate, die gerade zufällig vorbeikommt, sieht das, springt hinterher, rettet sie.

Natürlich ist Linda in keiner Weise dankbar, denn Beate hat ihre Pläne zunichtegemacht. Kaum hat Beate sie mit Schlägen auf den Rücken dazu gebracht, das Wasser wieder auszuspucken, das sie geschluckt hatte, macht Linda ihr Vorwürfe, daß sie sich in ihr Leben eingemischt hat.

Beate bietet ihr an, sie könnte ruhig ein zweites Mal springen, dann würde sie sich nicht mehr einmischen. Linda ist sauer, versucht es aber kein zweites Mal. Außerdem ist es Winter und kalt, das heißt, sowohl Linda als auch Beate müssen möglichst schnell aus den nassen Kleidern, damit sie sich nicht doch noch den Tod holen.

Beate, gutmütig, wie sie ist, bietet Linda trotz ihres abweisenden und unhöflichen Verhaltens an, mit zu ihr zu kommen, um sich aufzuwärmen und ihre Kleider trocknen zu lassen, denn Beates Wohnung liegt ganz in der Nähe der Brücke.

Linda sieht, daß sie wenig andere Möglichkeiten hat, und geht mit.

Als Plot würde sich das sehr viel kürzer lesen. Aber um den Plot zu entwickeln, schreibe ich meistens solche Sätze auf. Ich kann nicht theoretisch plotten, ich muß die Szenen vor mir sehen.

Das Problem beim Plotten in Szenen besteht darin, daß man sehr schnell ins Schreiben kommt – oft auch schon, bevor der Plot richtig steht. Deshalb muß man sich da am Riemen reißen und dann die schon herausgefundenen Abläufe kurz zusammenfassen, am besten nur in ein oder zwei Sätzen.

Der Anfang wäre also: Beate und Linda lernen sich kennen, als Linda aus Verzweiflung über ihr verpfuschtes Leben versucht von einer Brücke zu springen und Beate sie rettet.

Ja, das ist plotmäßig alles, was zu der oben skizzierten Situation beschrieben werden muß.

Und dann geht es weiter:

  • Was wird aus Linda und Beate?
  • Wie sieht die weitere Entwicklung aus?
  • Welche Konflikte und Probleme werden ihnen begegnen?
  • Wie lösen sie sie?
  • Wie sieht das Ende aus?

Eigentlich besteht Plotten also aus Fragen, die beantwortet werden müssen.

  1. Ausgangsposition
  2. Wie und wo begegnen sich die beiden Hauptpersonen?
  3. Was geschieht, wenn sich die beiden begegnen?
  4. Was sind die Folgen dessen, was geschehen ist?
  5. Welche Konflikte treten auf?
  6. Welche Lösungsmöglichkeiten bieten sich an?
  7. Werden die Lösungsmöglichkeiten genutzt oder nicht?
  8. Was ist die Folge der Nutzung oder Nichtnutzung der Möglichkeiten?
  9. Welche neuen Probleme ergeben sich daraus?
  10. Wie kommt die Geschichte zu einem glücklichen Ende?

Das ist der grobe Ablauf. Nun müssen diese Fragen im einzelnen bearbeitet und mit Abläufen, Handlungen und Szenen gefüllt werden – so spannend wie möglich.

Einige Hinweise dazu finden sich in »Wie man eine Kurzgeschichte schreibt, Teil 7«, denn auch hier überschneiden sich Kurzgeschichte und Roman natürlich. Das Plotten für eine Kurzgeschichte ist allerdings wesentlich einfacher, denn es gibt ja nur einen Handlungsstrang und ein Ereignis. Bei einem Roman muß man wesentlich mehr Personen und Abläufe und auch Ereignisse im Auge behalten.


Spannung

Was ist spannend in einem Roman? Aus gegebenem Anlaß würde ich gern einmal darauf eingehen, denn nun geht es ja daran, die eingesandten Manuskripte für den LiteraturPreis zu lesen und zu beurteilen.

Spannung bedeutet in erster Linie: Die Leserin kann und will das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, bevor sie es ausgelesen hat.

Was Spannung ist und was als spannend empfunden wird, kann dabei unterschiedlich sein. Die einen finden Action spannend, die anderen Liebesszenen, wieder andere mögen Horror oder Konflikte, Geheimnisse oder Rätsel. Letzteres gibt es vor allem in der Krimiliteratur.

Liebesromane beziehen ihre Spannung meist aus dem Konflikt oder den Konflikten zwischen den Personen, oftmals auch aus Konflikten zwischen den Personen oder einer Person und den Umständen.

In unserem Falle, bei lesbischen Liebesromanen, liegt die Spannung am Anfang oft darin, daß die beiden Frauen herausfinden müssen, ob sie überhaupt füreinander in Frage kommen, sprich, ob sie überhaupt beide lesbisch sind. Zumindest eine der beiden Personen erscheint der anderen am Anfang oft nicht eindeutig in dieser Beziehung.

Es kann natürlich schon einige Seiten füllen, wenn eine der beiden sich in die andere verliebt hat, aber nicht weiß, ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, daß diese Liebe erwidert wird. Nicht nur, weil man sich eventuell nicht sympathisch ist, sondern deshalb, weil die sexuelle Ausrichtung nicht stimmt. (Und nein, man kann nicht jede Heterofrau ›umdrehen‹, so sehr man sich das auch wünscht. )

Dennoch reicht das nicht für einen ganzen Roman aus. Das wäre denn doch zu langweilig. Spannung liegt oftmals wie Schönheit eher im Auge des Betrachters oder der Betrachterin, aber endlose Beschreibungen oder Gedanken dazu, ob sie nun lesbisch ist oder nicht, lassen die Spannung dann doch nach einer Weile erlahmen.

Hat die Autorin also dieses erste Rätsel gelöst, geht sie weiter zum nächsten: Was passiert nun mit den beiden? Gut, Sex ist meist der Anfang, aber auch die detailliertesten Bettszenen sind nicht endlos spannend. Ebenso wie im realen Leben ist die Spannung nach dem Orgasmus oder den Orgasmen erst einmal flöten. Wie geht es also spannend weiter?

Und da gehen die Meinungen oft weit auseinander. Die unendliche Geschichte des Alltags scheinen viele Autorinnen beispielsweise spannend zu finden. Jeder Einkauf wird geschildert, jede Scheibe Wurst oder Käse beim Frühstück, jede noch so langweilig miteinander verbrachte Minute.

Hier unterscheidet sich der Roman jedoch vom täglichen Leben. Wir mögen es furchtbar süß und spannend finden, jede Minute des Tages mit unserer Liebsten zusammenzusein und jeden Krümel auf ihrem Frühstücksteller anzubeten, in einem Buch kommt das einfach nicht so gut rüber. Da muß etwas passieren.

Vor allem am Anfang eines Romans ist es für die Spannung und das Interesse der Leserin tödlich, zu viele alltägliche Dinge zu beschreiben. Wir hatten das Thema ja schon einmal bei »Vier Seiten für ein Halleluja« – die ersten vier Seiten eines Romans sind entscheidend dafür, ob die Lektorin (die die erste Leserin ist) weiterliest oder nicht. Also sollte auf diesen ersten vier Seiten Spannung herrschen.

Es ist in keinem Fall spannend, erst einmal alle Lebensumstände der Protagonistin, alle Freundinnen, Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder und ihr berufliches Umfeld vorzustellen, bevor man überhaupt zur Geschichte kommt. Die Einzelheiten zu all diesen Dingen kann man immer später noch einfließen lassen, wenn es denn wichtig sein sollte.

Auch wie die Protagonistin ihr Leben bis zum Beginn der Geschichte verbracht hat, ist nicht sonderlich spannend. Die Geschichte geht jetzt los, und jetzt sollte sie spannend sein. Was in der Vergangenheit war, ist erst einmal nicht wichtig. Auch hier kann man bedeutsame Ereignisse an den Stellen erwähnen, an denen sie auch jetzt noch eine Bedeutung haben. Wenn sie denn heute noch eine Bedeutung haben. Ansonsten läßt man sie weg.

Um Spannung zu erzeugen, sollte die Hauptfigur in einer spannenden ersten Szene vorgestellt werden, beispielsweise in einem Konflikt oder in einer besonderen Situation, die ihr besondere Intelligenz, besonderen Humor oder besondere Lebenstüchtigkeit abverlangt. Diese erste Szene sollte auf spannende Weise das Interessante an der Hauptfigur zeigen. Warum sollte ich als Leserin weiterlesen, um mehr über diese Figur und ihr Leben zu erfahren? Diese Frage muß beantwortet werden.

Nicht direkt, sondern eher indirekt. Die Reaktionen der Hauptfigur charakterisieren sie, mehr das, was sie tut, als das, was sie sagt. Also sollte die Hauptfigur in der ersten Szene etwas tun, das Spannung bei der Leserin erzeugt. Eine Erwartungshaltung, daß diese Figur der Leserin für den Rest des Romans eine unterhaltsame, konfliktgeladene, spannende Geschichte erzählen wird.

Details über den Alltag dieser Figur sind weniger erforderlich als eine aktive Szene, die die Figur charakterisiert.

Denken wir nur an Xena, die ich bereits oft als Beispiel genannt habe. Was tut Xena in der ersten Szene einer jeden Folge? Sie verprügelt irgendwelche bösen Männer. Das charakterisiert sie. Auch wenn man nichts über ihren Alltag weiß, sieht man sofort: Das ist eine Frau, die sich nichts bieten läßt, die körperlich stark ist und die sich durchzusetzen weiß.

So einen Anfang würde ich mir in jedem Roman wünschen. Nicht daß jetzt jeder Anfang eine Prügelszene sein muß, das wäre eher kontraproduktiv , nein, ich möchte einfach sofort wissen, mit wem ich es zu tun habe und daß diese Figur, diese Geschichte spannend ist. Ich möchte mitgerissen werden und kaum Atem holen können zwischen den Zeilen, die ich lese.

Nun ist es eine Sache, die Spannung am Anfang durch eine charakteristische Szene wie einen Knalleffekt explodieren zu lassen, und eine andere, die Spannung über den ganzen Roman durchzuhalten beziehungsweise immer neu aufzubauen. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich der erste spannende Moment irgendwann einmal erschöpft. Xena hat die Männer verprügelt, die Witwen und Waisen (und schönen jungen Frauen ) befreit, und nun zieht sie weiter.

Sie kann nun aber in der zweiten Szene nicht wieder dasselbe tun, sich prügeln, Witwen und Waisen befreien oder was auch immer. Also beginnt nach der ersten Szene, in der wir die Hauptfigur kennengelernt haben, die Geschichte. Und nun muß diese Geschichte die Spannung bieten und weitertragen, die die erste Szene aufgebaut hatte. Es muß ein grundsätzliches Problem geben, daß sich nicht so einfach durch eine Prügelei lösen läßt, ein eher psychologisches, meist zwischenmenschliches Problem.

Es kann natürlich auch die gefährdete Wasserversorgung sein, aber selbst da muß der Konflikt eher in den Menschen liegen, beispielsweise in verschiedenen Meinungen darüber, wie man dieses Wasserversorgungsproblem lösen kann.

Spannung entsteht dadurch, daß die Lösung nicht so einfach auf der Hand liegt. Das gilt ebenso für Liebesromane. Die beiden Hauptfiguren lieben sich, aber sie können nicht zueinander kommen, weil »das Wasser viel zu tief« ist, wie das alte Märchen sagt.

Bei jeder Szene, bei jedem Kapitel müssen Sie als Autorin sich also fragen: Ist das spannend? Würde ich hier weiterlesen, wenn ich nicht die Autorin, sondern eine Leserin wäre?

In jedem Roman bewegt sich die Spannung auf und ab, das heißt, wenn das erste Problem gelöst ist, taucht ein weiteres auf, eventuell ein weniger leicht lösbares, das sich länger hinzieht. Und immer, wenn eine Lösung in Sicht ist, muß es ein Problem geben, das diese Lösung erst einmal verhindert.

Die beiden Liebenden haben sich gefunden, sind für einen Moment glücklich miteinander, aber dann kommt etwas wie: »Ich muß dir da noch etwas sagen« – und schon gehen die Probleme von vorn los.

Bis zum Ende des Buches, an dem dann alle – oder zumindest die wichtigsten – Probleme und Konflikte gelöst sein sollten.

Bis zu diesem Punkt die Spannung zu halten oder immer wieder aufzubauen ist eine große Kunst. Und ich hoffe, daß wir viele Romane für den Wettbewerb erhalten haben, die diese Kunst zeigen.