Mitnichten, so wird es nicht sein. Die Leserin wird sich vielmehr fragen, was diese überladenen, kaum mehr enden wollenden Sätze und Adjektivorgien sollen. Sie wird es sich natürlich nicht so fragen, nicht so grammatisch, aber sie wird es merken und das Buch ätzend finden.

Ein einfacher Satz erläutert das sehr gut. Der Satz lautet: Die Sonne scheint.

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Jeder weiß, was die Sonne ist und wie es ist, wenn sie scheint, wie man sich fühlt, was man dabei empfindet, wie sehr unser Leben und unsere Stimmung von der Sonne abhängen. Diese drei Wörter genügen völlig zur Information und enthalten viele Möglichkeiten zur Interpretation aufgrund eigener Erfahrungen.

Das ist das Problem. AnfängerInnen wollen die Erfahrung ihrer Leserinnen am liebsten vollständig ausschalten. Sie wollen statt dessen ihre eigene Erfahrung einbringen, wollen, daß genau das bei der Leserin ankommt, was sie mit ihrer Beschreibung verbinden. Also reichen die drei Wörter nicht aus. Es muß mehr her, ein Adjektiv, zwei Adjektive, ganz viele Adjektive und für das Verb gleich noch ein paar Adverbien hinzu.

So kann ein einfacher Satz zu einem Gebilde wie diesem werden: Die gelb strahlende, hoch am Himmel stehende, heiß brennende, alle Gefühle aufblühen lassende, lebensspendende Sonne, die an diesem Tag noch früher aufgegangen war als sonst, schien kraftstrotzend, wärmespendend, vielversprechend, anbetungswürdig, gleißend vom Himmel.

Bis man den Satz zu Ende gelesen hat, hat man eine ganze Schwangerschaft von neun Monaten hinter sich. Und sagt er wirklich mehr aus als die ersten drei Wörter, die einfach nur die Sonne vom Himmel scheinen ließen, ohne weitere Beschreibung? Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil, der Inhalt des Satzes wird verwässert, man weiß gar nicht mehr, was die Autorin eigentlich sagen will. Will sie einfach nur das Wetter beschreiben oder einen neuen Sonnenkult gründen?

Daher rührt Mark Twains Aufruf zum Mord an den Adjektiven. Wenn man einmal alle Adjektive und Adverbien in einem Text wegläßt, sieht man, daß sie eigentlich zum großen Teil überflüssig sind und sogar eher das Gegenteil von dem bewirken, was man damit erreichen will.

Gerade bei gefühlvollen Texten, bei Liebesromanen, sollte man die Verwendung von Adjektiven knapp halten. Stimmung kommt nicht durch Adjektive auf, sondern durch »Show, don’t tell« (Zeigen statt beschreiben), durch Handlungen der Figuren, durch ihre Reaktionen, durch die genaue Beobachtung der menschlichen Psyche und dessen, was von dieser Psyche nach außen dringt. Eine Schriftstellerin kommt nicht umhin, eine gute Beobachterin und eine gute Psychologin zu sein.

Adjektive sollen oft nur die Unfähigkeit der Autorin verdecken, eine Situation wirklich gut schildern zu können, und das liegt oft daran, daß Autorinnen zu sehr von ihren eigenen Erfahrungen ausgehen. Wenn ich etwas selbst erlebt habe, möchte ich es wie ein Photo an die Leserin weitergeben. Da ich kein Photo in meinen Roman einbauen kann, versuche ich das Photo mit Wörtern zu ersetzen. Was ich in Wirklichkeit tue, ist: Ich schlage das Bild mit Wörtern tot.

Und bevor Sie das tun, nämlich das Bild unter den Wörtern verschwinden zu lassen, bis es keiner mehr erkennt, schlagen Sie lieber die Wörter tot, wie Mark Twain es empfiehlt, und lassen Sie das Bild in seiner einfachen Reinheit ohne Adjektive stehen. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, aber tausend Worte ersetzen kein Bild.

Noch besser: Schreiben Sie keine Geschichten auf, die Sie selbst erlebt haben, dann kommen Sie gar nicht erst in die Verlegenheit, ein Photo mitliefern zu wollen.

Sol Stein sagt dazu:

Wenn Sie Romane schreiben, ist es Ihre Aufgabe, die Gefühle der Leser anzusprechen, nicht sich etwas vom Herzen zu schreiben.

Dem ist nichts hinzuzufügen.