Das klingt jetzt sehr hart, trifft aber leider meistens zu – vor allem, wenn es das erste Buch ist, das eine Autorin (oder ein Autor) schreibt.

Es ist wohl die mangelnde Phantasie, die viele Menschen dazu treibt, ihr eigenes Leben aufzuschreiben. Sie können nur das niederschreiben, was sie auch erlebt haben, etwas ausdenken können sie sich nicht.

Diese Art Bücher werden meist nie veröffentlicht, denn sie würden ein breiteres Publikum nicht interessieren. Es gibt Ausnahmen, sicherlich, wie immer, aber dann hat die Autorin oder der Autor ein so großes Talent oder er hatte ein so außergewöhnliches Leben, daß das Buch für eine breitere Öffentlichkeit spannend ist. Für die meisten AutorInnen trifft das leider nicht zu.

Dennoch machen viele, fast alle, den Fehler, mit einem autobiographischen Roman oder einer autobiographischen Geschichte anzufangen. Deshalb, sagt Sol Stein, empfehlen viele Verlage angehenden AutorInnen:

Schreiben Sie Ihren zweiten Roman zuerst.

Das ist eine gute Empfehlung, finde ich. Mein erstes Buch, das veröffentlicht wurde, war »Taxi nach Paris«, aber dessen Erfolg ist wohl auch dem zuzuschreiben, daß es nicht das erste Buch war, das ich geschrieben habe. Es war nicht nur mein zweites, sondern sogar mein drittes. – Und es war natürlich nicht autobiographisch, die Geschichte ist frei erfunden.

Das wichtigste bei Ihrem ersten Roman ist also, daß er nicht autobiographisch ist. In der Reihe »Wie baue ich einen Roman auf« habe ich deshalb schon öfter darauf hingewiesen, eine erfundene Biographie für alle Figuren zu erstellen, vor allem für die Hauptfiguren.

Gestern erfand ich einen Teil der Biographie von »Beate« für den sechsten Teil von »Wie baue ich einen Roman auf«. Um das Leben einer erfundenen Figur von dem eigenen abzugrenzen, kann es nützlich sein, diese Biographie noch auszubauen und dabei darauf zu achten, daß möglichst wenig Übereinstimmungen mit meiner eigenen Biographie bestehen.

Man kann das an Jahreszahlen festmachen. Innerhalb der Biographie weisen Sie den Ereignissen im Leben Ihrer Figur eine Zahl zu. Da es am sinnvollsten ist, mit der Geburt einer Figur zu beginnen, ist das die erste wichtige Jahreszahl. »Beate« ist heute, also im Jahr 2007, 36 Jahre alt, nehmen wir einmal an. Aus diesem Alter können wir leicht errechnen, in welchem Jahr Beate geboren wurde, nämlich 1971.

Was war 1971 für ein Jahr? Welche Zustände herrschten damals? Wie waren die Bedingungen für ledige Mütter damals? Auf jeden Fall schlechter als heute. Eine Frau, die keinen Mann hatte, aber ein Kind, war im Jahre 1971 entweder ein Flittchen (oder noch schlimmer: eine Hure) oder eine Xanthippe, sprich eine Frau, die so unerträglich ist, daß es kein Mann mit ihr aushalten kann, daß es überhaupt niemand mit ihr aushalten kann.

Es spricht viel dafür, daß sich die Familie von Beates Mutter von der Mutter abwandte, in dem Moment, in dem die Familie erfuhr, daß Beates Mutter schwanger ist und keinen Mann vorweisen kann, der sie schnell noch vor der Geburt des Kindes heiratet.

Einfach so abtreiben konnte man damals auch nicht, also war Beates Mutter ziemlich alleingelassen. Sie wollte das Kind eigentlich nicht, aber sie mußte es bekommen und für das Kind sorgen, ohne Hilfe ihrer Familie. Einen erlernten Beruf hatte Beates Mutter auch nicht, denn »Mädchen heiraten ja sowieso, die brauchen keinen Beruf«. Also mußte Beates Mutter putzen gehen oder in die Fabrik, die härtesten Jobs annehmen, um sich und ihr Kind durchzubringen. Sie liebte das Kind deshalb nicht besonders. Sie war der Meinung, das Kind hat ihr Leben zerstört. Sie hätte ein schönes Leben haben können, wenn das Kind nicht gekommen wäre.

Und nun die Abgrenzung: Was haben Sie im Jahre 1971 gemacht? (Möglichst sollte das nicht mit dem Jahr 1971 von Beate übereinstimmen.)