Warum sind Schachtelsätze, oder auch Bandwurmsätze, bei Schreibenden so beliebt? Vor allem bei den Schreibenden, die noch nicht viel Erfahrung im Schreiben haben?

Die Manuskripte, die wir zugeschickt bekommen, sind voll davon; wenn man einmal in irgendein beliebiges Schreibforum im Internet schaut, winden sie sich einem sofort entgegen; kurze, prägnante Prosa, die man leicht lesen und verstehen kann, ist die Ausnahme.

Wollen die Menschen, die so schreiben, es ihren Leserinnen und Lesern so schwer wie möglich machen? Wollen sie am Ende vielleicht gar nicht gelesen werden?

Wenn man vom Schreibstil ausgeht, könnte man das meinen. So ist es natürlich nicht. AnfängerInnen und HobbyautorInnen können es einfach (noch) nicht besser. Sie wissen (noch) nicht, wie man wirklich gut schreibt.

Da gerade auch Journalisten von dieser Krankheit des Schachtelsatzes, der Schachtelsatzeritis, befallen sind, beschäftigen sich wiederum andere Journalisten damit, dies zu kritisieren. Bei den Journalisten handelt es sich meist nicht um Anfänger, sie sollten es besser können, aber sie wollen halt möglichst gebildet erscheinen und meinen wohl, Schachtelsätze trügen dazu bei. Denn sie haben ja auch gebildete Vorbilder. Heinrich von Kleist zum Beispiel. In einem Artikel in der WELT online beschäftigt sich ein Redakteur mit diesem Phänomen.

In Gefangen im Labyrinth der Schachtelsätze schreibt er:

Heinrich von Kleist ist berüchtigt für diese Technik. Man kann blindlings in seinem Werk fischen, mit großer Wahrscheinlichkeit hat man einen Schachtelsatz an der Angel. Zum Beispiel diesen, aus der Novelle „Der Findling“: „Er unterhandelte noch, in der ersten Station, mit den Wirtsleuten, über die Art und Weise, wie er seiner wieder los werden könne: als er schon auf Befehl der Polizei, welche davon Wind bekommen hatte, arretiert und unter einer Bedeckung, er, sein Sohn und Nicolo, so hieß der kranke Knabe, wieder nach Ragusa zurück transportiert ward.“

Was zeigt dies? Ein Schachtelsatz mag künstlerisch wertvoll, grammatikalisch anspruchsvoll sein. Er ist aber alles andere als klares Deutsch.

Schon eine Zumutung, könnte man sagen, aber es ist eben Kleist. Damals war die Welt noch eine andere, die Leser waren andere – sie konnten sich durch diese endlos aneinandergereihten Wörter durcharbeiten, weil sie viel Zeit hatten, es gab kein Fernsehen und auch sonst nichts, was in unserer modernen Welt die Zeit der Leser auffrißt –, und demgemäß war auch die Literatur eine andere.

Diese Zeiten sind aber vorbei, und – ehrlich gesagt – wenn Kleist heute leben und so etwas an einen Verlag schicken würde, würde er nicht veröffentlicht werden. Trotz der Qualität seiner Geschichten zu Recht, denn heute zählt es mehr, auf die Leserin oder den Leser zu achten.

Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit im Deutschen, die es in anderen Sprachen nicht gibt: zusammengesetzte Verben werden auseinandergerissen. Dadurch erfährt man erst am Schluß des Satzes, um welches Verb es sich handelt und welchen Sinn der ganze Satz hat. Ist der Satz nun lang und verschachtelt, kann das dauern.

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain setzte sich schon vor mehr als 100 Jahren in seinem Aufsatz „Die schreckliche deutsche Sprache“ mit dem Hang deutscher Journalisten zum Schachtelsatz auseinander. Er schrieb: „In einer deutschen Zeitung setzen sie ihr Verb drüben auf der nächsten Seite hin; und ich habe gehört, dass sie manchmal, wenn sie eine oder zwei Spalten lang aufregende Einleitungen und Paranthesen dahergeschwafelt haben, in Zeitnot geraten und in Druck gehen müssen, ohne überhaupt bis zum Verb gekommen zu sein. Natürlich lässt das den Leser in einem Zustand starker Erschöpfung und Unwissenheit zurück.“ (Quelle: Welt online)

Leider ist das nicht nur in Zeitungen so, sondern auch in schlechten Manuskripten.

In der Absicht, möglichst viele Informationen in einem Satz unterzubringen, haken Anfängerinnen bei jeder noch so kleinen Gelegenheit ein, um einen Nebensatz, ein Attribut oder eine adverbiale Beschreibung einzusetzen, das Ganze wird dann noch untermauert von möglichst vielen Adjektiven.

Nehmen wir einmal einen einfachen Satz wie »Sie kam die Treppe herauf«. Stünde der Satz so in einem Buch oder Manuskript, wäre nichts daran zu beanstanden. Damit begnügt sich eine Anfängerin im Schreiben aber nicht.

Da sind zuerst einmal die für Anfängerinnen unverzichtbaren Adjektive, dann kommen noch anscheinend ebenso unverzichtbare Beschreibungen hinzu, und so weiter, und so fort.

Und somit wird aus dem kleinen, unscheinbaren Sätzchen, das sich leicht lesen und verstehen läßt, so etwas wie dieses hier:

Die große, dunkelhaarige Frau, die schon in ihrer Kindheit zu groß für ihr Alter gewesen und deshalb von den anderen Kindern als Monster beschimpft worden war, kam in ihrem maßgeschneiderten eleganten schwarzen Kostüm, zu dem sie eine farblich passende Seidenbluse trug, deren beiger Schimmer das Schwarz ein wenig aufhellte und dadurch mit ihren glänzenden schwarzen Haaren kontrastierte, mit langen Schritten die marmorne Treppe, für deren Bau man den Marmor extra hatte importieren müssen und die die Dunkelhaarige deshalb übertrieben fand, nach einem langen Tag im Büro, wo sie Entscheidungen hatte fällen müssen, die ihr viel abverlangt hatten, auch wenn sie schon lange daran gewöhnt war, herauf.

Wie man deutlich sieht: Das ist dasselbe wie »Sie kam die Treppe herauf«. Denn das ist die einzige Information, die in diesem Moment zählt. Alles andere gehört an einen anderen Ort im Manuskript, in kurzen, knappen Beschreibungen, die der Leserin Raum geben, dazwischen wenigstens einmal zu atmen.

Deshalb mein Rat:

Schreiben Sie nicht, wie Sie denken, sondern denken Sie beim Schreiben.

Dann entsteht ein Manuskript, aus dem ein Buch werden kann.