Es ist kein neues Thema, und ich habe schon tausendmal darüber geschrieben, wir haben auch schon oft darüber gesprochen: Die Figuren machen die Geschichte.

Warum, frage ich mich dann aber, geben sich so viele AutorInnen keine Mühe, ihre Figuren richtig zu entwickeln? Oftmals gibt es eine Hauptfigur, die das Alter Ego des Autors oder der Autorin ist, und diese Figur speist sich aus den Erfahrungen, Charaktereigenschaften und Vorlieben/Abneigungen des Autors/der Autorin. Gut oder manchmal auch weniger gut.

Aber was ist mit den ganzen anderen Figuren, die in einem Roman eine Rolle spielen? Speisen die sich auch alle aus den Erfahrungen des Autors? Oder werden sie erfunden? Manchmal habe ich das Gefühl, alle anderen Figuren, außer dem Alter Ego des Autors, werden sträflich vernachlässigt. In schlechten Romanen auf jeden Fall. In guten manchmal auch.

Standardsituation für uns: Die Protagonistin verliebt sich. Also ist schon einmal eine zweite Figur beteiligt. Meistens verliebt man sich jedoch in eine Fremde, man weiß noch nichts über sie. Man will sie jedoch kennenlernen. Wie macht man das? Man spricht sie an, lädt sie ein, unterhält sich mit ihr, stellt ihr Fragen oder beobachtet einfach nur ihre Reaktionen.

In einem Roman ist das genauso wie im wirklichen Leben: Erst langsam lernt man die andere Figur, in diesem Fall also die andere Frau, kennen. Stück für Stück entlockt man ihr ihre Geheimnisse. Bis auf die, die sie nicht preisgeben will.

Das kann meines Erachtens nur über Handlung und Dialog geschehen, nicht über einfache Beschreibungen. Menschen sind zu vielschichtig, um sie einfach nur zu beschreiben. Sie war groß, blond und blauäugig sagt überhaupt nichts über eine Figur aus. Das wissen wir eigentlich alle. Dennoch erstreckt sich die Entwicklung der Figuren oftmals auf nicht viel mehr als das. Wir scheuen uns davor, unsere Figuren tiefenpsychologische Gespräche führen zu lassen, wie wir es vielleicht im wirklichen Leben tun würden, weil die meisten wohl davonlaufen würden, wenn man das von ihnen verlangte.

Eine Romanfigur kann aber nicht davonlaufen. 8-) Wir können alles mit ihr tun, was wir wollen. Jedes Gespräch, jede Handlung, jede Reaktion hat eine Bedeutung für die Entwicklung der Figur, aber dazu müssen wir unsere Charaktere erst einmal sprechen, handeln, reagieren lassen. Wenn wir das nicht tun, wenn wir ihnen diese Möglichkeit, sich zu entwickeln, verweigern, werden sie sich auch nicht entwickeln. Wie sollten sie? Sie sind letztendlich dann doch nur ein Produkt unserer Phantasie. Allein diese macht sie in gewisser Weise lebendig. Aber lebendig können sie nur werden, wenn sie Spielraum haben. Eine Figur, die in einem Käfig von Beschreibungen sitzt, hat keinen Spielraum.

Was ich damit sagen will, ist nur: Laßt Eure Figuren frei. Laßt sie fliegen. Fesselt sie nicht zu sehr an Eure eigenen Erfahrungen, Erlebnisse, Vorstellungen. Wenn sie nicht mehr gefangen sind, werden sie eine erstaunliche Eigendynamik entwickeln und Dinge tun, die Ihr Euch nicht hättet ausdenken können.