Durch den Hinweis von Nicole (Vielen Dank dafür, Nicole ) zu dem Animationsfilm »Ratatouille« kam ich auf den Gedanken, doch einmal etwas über die »Heldenreise« zu schreiben, die so vielen erfolgreichen Büchern und fast ebenso vielen erfolgreichen Filmen zugrundeliegt.
Die »Heldenreise« ist ein uraltes Prinzip, das schon in der Antike – vielleicht sogar bereits davor – von Erzählern angewandt wurde, um einer spannenden Geschichte den richtigen Rahmen zu geben.
Das Prinzip ist im Grunde genommen sehr einfach. Ein junger Mann (das ist das beste Alter für Helden ) begibt sich in ein Abenteuer. Er will etwas erringen, den Sieg in einem Krieg, die Liebe einer schönen Frau, Geld und Macht, die Nachfolge auf einen Thron – irgend etwas, das für ihn von so großer Bedeutung ist, daß er dafür sterben würde.
Bevor er sich in das Abenteuer begibt, ist er jung – ich sagte es schon – und unbedarft. Er hält das Abenteuer, in das er sich begibt, für ein Spiel, und die Beute, die ihm winkt, die Belohnung, für ein leicht zu erringendes Gut. Natürlich gibt es Leute, die ihn warnen, die ihm die Gefahren aufzeigen, aber auf die hört er nicht. Er marschiert los, ein Lied auf den Lippen, und die ganze Welt – von der er nicht viel weiß – gehört ihm.
Dann geschieht etwas, es werden ihm Steine in den Weg gelegt, er muß kämpfen, wird vielleicht verletzt, er merkt, daß das »Spiel« so einfach nicht ist, daß er sich in echte Gefahren begibt, die sein Leben bedrohen. Aber er will die Beute, die Belohnung, sein Glück.
Jede Gefahr, die er überwindet und die ihn dem Tode nahebringt, läßt ihn wachsen, erwachsener werden. Er durchquert den »mythischen Wald« (es muß kein Wald sein, es kann auch ein Meer sein oder eine Großstadt), und wenn er aus diesem Wald heraustritt, am Ende seiner Reise, ist er vom Jungen zum Mann geworden, und normalerweise erhält er dann auch seine Belohnung, aber vielleicht anders oder etwas anderes, als das, was er sich zu Anfang vorgestellt hatte. Manchmal bekommt er auch einfach nur das Mädchen und das Gold und den Thron – genau wie zu Beginn erwartet.
Die Geschichte an sich ist also sehr einfach, was man jedoch darin verstecken kann, das ist unendlich. Dieser Rahmen, dieses Korsett bietet ungeahnte Möglichkeiten.
Da das Prinzip schon so alt ist, bezog es sich lange Zeit nur auf Männer, denn daß Frauen in die Welt ziehen, das war doch eher ungewöhnlich, wenn nicht sogar – vor allem durch die gesellschaftlichen Umstände, die Frauen wenig Freiheit erlaubten – unmöglich.
Heutzutage können wir dieses Prinzip jedoch durchaus auch auf Geschichten anwenden, die eine Heldin haben, nicht einen Helden. Frauen können sich heute freier bewegen als früher, und auch Frauen können Abenteuer bestehen.
Wieder einmal das beste Beispiel ist »Xena«. Weshalb ist die Serie so erfolgreich? Weil sie das Prinzip der »Heldenreise« immer wieder neu umsetzt. Jede Folge ist ein Abenteuer, in dem ein Krieg gewonnen, Frauen und Kinder gerettet, eine Belohnung errungen werden müssen. Viele Gefahren lauern, der Tod linst immer um die Ecke, aber die Heldin übersteht alles. Sie geht jedesmal ein wenig geläuterter aus einem Abenteuer hervor, aber sie verläßt natürlich den »mythischen Wald« nie, sonst wäre die Serie zu Ende.
Anders ist es bei einer abgeschlossenen Geschichte, dort muß die Heldin zum Schluß das bekommen, was sie sich gewünscht, wofür sie gekämpft hat oder etwas anderes, Gleichwertiges.
Selbst – oder vielleicht gerade – in einem Liebesroman kann man dieses Prinzip umsetzen.
Die Heldin ist zu Beginn entweder sehr jung und unerfahren oder sie ist einsam und traurig, sehnt sich nach dem Glück. Und was ist das Glück? Die Liebe einer Frau natürlich.
Dazu muß man erst einmal die geeignete Frau finden, das ist schon mal ein Abenteuer für sich, und dann muß die Heldin noch diese Frau davon überzeugen, daß sie, die Heldin, die Richtige für sie, die angepeilte Geliebte, ist.
Da gibt es dann Schwierigkeiten über Schwierigkeiten, vielleicht ist die andere Frau verheiratet, oder sie ist gar nicht lesbisch, oder sie ist krank, oder sie hat ein altes Trauma, das sie noch nicht bewältigt hat . . . oder, oder, oder. Es gibt Tausende von Möglichkeiten.
Die »Heldenreise« oder in diesem Fall die »Heldinnenreise« besteht also darin, die Belohnung – die Frau – zu erringen und alle Probleme, die auftauchen, zu überwinden.
Selbstverständlich kann man seine Heldin auch auf eine richtige »Heldenreise« schicken wie »Xena«, sie kann kämpfen und siegen, sie könnte Ärztin sein und Todkranke retten, ein neues Medikament finden, sie könnte auch Polizistin sein und jedesmal in Todesgefahr geraten, wenn sie Verbrecher verfolgt und fängt.
Überhaupt ist ja der Krimi in gewisser Weise die moderne »Heldenreise«, auch Spionageromane und Thriller könnte man dazuzählen – und natürlich Fantasy. Welche »Heldenreise« ist bekannter als die von Harry Potter? Es gibt eine ganze Menge Genres, die von der »Heldenreise« leben. Die »Heldenreise« ist das Urprinzip fast jeder Geschichte.
Wenn man sich dessen erst einmal bewußt ist, kann man seine eigene Geschichte darauf abklopfen, ob sie der »Heldenreise« entspricht.
Deshalb muß man erst einmal die Hauptfrage stellen und beantworten:
Was will die Heldin?
Bevor Sie nicht wissen, was Ihre Heldin will, wofür sie mit allen Mitteln kämpfen wird, um es zu erringen, können Sie nicht anfangen zu schreiben.
Die zweite, vielleicht sogar noch wichtigere Frage, die Sie vor dem Beginn klären müssen, ist:
Warum will sie das?
Über das Warum machen sich viele beim Schreiben leider zu wenig Gedanken, es wird einfach vorausgesetzt, aber das geht nicht. Zumindest ich als Autorin muß wissen, warum meine Heldin das tut, was sie tut, warum sie das will, was sie will. Nur dann kann ich die Geschichte schreiben.
Weitere Fragen sind:
- Was tut die Heldin, um das, was sie will, zu bekommen?
- Was hindert sie daran?
- Worin bestehen die Konsequenzen?
So viele Fragen und manchmal so wenige Antworten. In schlechten Romanen bleiben diese Fragen oft einfach offen. (In guten manchmal auch, aber da ist es Absicht. ) Wir sprechen hier allerdings nicht von »Hoher Literatur«, was auch immer das ist, sondern von Unterhaltungsliteratur.
Und ein Kennzeichen der Unterhaltungsliteratur ist es, daß diese Fragen beantwortet werden müssen und daß die Sache gut ausgehen muß. Sonst ist es nämlich Essig mit der Unterhaltung, dann ist die Leserin am Schluß enttäuscht und das Leseerlebnis verdorben.
Die »Heldenreise« ist jedenfalls ein gutes Prinzip, um die Leserin nicht zu enttäuschen.
Deshalb lege ich es allen, die schreiben wollen, ans Herz.
Es gibt ein gutes Buch dazu, das sich zwar hauptsächlich auf Drehbücher bezieht, aber man kann es genausogut für Romane verwenden. Es ist das Buch von Christopher Vogler »The Writer’s Journey: Mythic Structure for Storytellers and Screenwriters«.
Auf deutsch ist das Buch bei Zweitausendeins unter dem etwas irreführenden Titel »Die Odyssee des Drehbuchschreibers« erschienen, was mich jahrelang davon abgehalten hat, es zu kaufen.
Christopher Voglers Buch ist keine Anleitung zum Schreiben, es ist eine Hilfe, das Prinzip zu verstehen, worauf gute Geschichten beruhen. Da man jedoch keine guten Geschichten schreiben kann, ohne das Prinzip verstanden zu haben, empfiehlt es sich sehr, dieses Buch zu lesen. Es sind sehr gute Beispiele vor allem aus Filmen darin enthalten, die man dann für eigene Geschichten nutzen kann.