Kann sich das jemand vorstellen, der kein „Schreiberling“ ist? Wohl nicht.
Nicht zu schreiben ist nicht einfach „nichts tun“. Auch das ist etwas, was ich sehr schlecht kann. Ich weiß nicht, wie man sich ausruht, wie man sich erholt. Immer wieder habe ich versucht, Meditation zu lernen oder irgendeine andere Entspannungstechnik. Ich kriege es nicht hin. Meine Gedanken rasen immer, sind ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen.
Also das geht schon mal gar nicht. Aber selbst wenn ich „nichts tue“, kann ich immer noch schreiben. Ich brauche das wie die Luft zum Atmen. Aber was ist, wenn auf einmal nichts mehr geht? Nichtstun geht nicht, aber Schreiben auch nicht.
Dann bin ich verloren. Im Grunde genommen lebe ich dann nicht mehr. Ich bin tot.
Aber nicht wirklich tot. Das wäre ja noch in Ordnung. Dann würde ich nichts mehr spüren. Nein, ich bin dann tot, ohne tot zu sein. Untot sozusagen. Und doch kein Zombie. Aber vielleicht fühlt es sich tatsächlich so an. Ich weiß ja nicht, was Zombies fühlen.
Die Tage vergehen, ich funktioniere, ich lebe – irgendwie. Aber etwas fehlt. Und das ist wie ein Loch, das immer größer wird, das immer mehr meiner ohnehin nur noch Zombie-Lebenskraft in sich hineinzieht. Nicht zu beschreiben, wenn man das nicht erlebt hat, nicht weiß, wie das ist.
Vermutlich finden viele Leute das sowieso lächerlich. Das Leben besteht aus mehr als Schreiben. Sehr viel mehr. Man kann sehr gut leben, ohne zu schreiben. Denken zumindest die meisten. Sie tun es ja auch nicht. Schreiben, meine ich. Wer schreibt schon täglich? Letztens habe ich gehört, die junge Generation schreibt überhaupt nicht mehr. Kann es gar nicht mehr. Weil sie es nie richtig gelernt haben, selbst, wenn sie in der Schule waren.
Schreiben bedeutet heute höchstens noch, irgendwelche Apps zu benutzen, in denen man Nachrichten verschickt. Oder vielleicht mal einen Kommentar auf irgendwelchen social media. Aber ich glaube, das ist schon so was wie die hohe Kunst.
Unvorstellbar für mich. Diese Kinder (zum Teil sind sie ja tatsächlich noch Kinder, aber oft auch junge Erwachsene) machen ein TikTok-Video nach dem anderen, aber sie schreiben nicht, sie lesen nicht. Sie leben in einer ganz anderen Welt. Sie halten TikTok tatsächlich für die Welt.
Also vermissen sie auch nichts, wenn sie nicht schreiben. Ich aber schon. Ich vermisse es ungeheuer, wenn ich nicht schreiben kann. Es ist neben dem mündlichen Geschichtenerzählen, was ich auch gern tue, meine primäre Kommunikationsform. Ein TikTok-Video könnte mir das nie ersetzen. Das ist überhaupt keine Kommunikation für mich. Ohne soziale Medien könnte ich generell gut auskommen. Wie wohl viele Leute meiner Generation, die nicht damit aufgewachsen sind.
Ich habe lange versucht, das Nicht-Schreiben zu ignorieren, wenn ich mal wieder in so einer Phase war. Mir einzureden, es sei völlig in Ordnung, einfach mal zu leben, ohne alles aufzuschreiben. Dass andere das doch auch können. Dass ich doch nun wirklich genug geschrieben habe. Aber tief in mir wusste ich: Ich bin nicht ganz. Nicht so, wie ich es sein könnte.
Es ist schwer, zu beschreiben, was genau fehlt, wenn man nicht schreibt. Es ist nicht nur die Geschichte. Es ist das Gefühl, durch Sprache mit der Welt verbunden zu sein. Mit sich selbst. Mit etwas Größerem. Wenn ich nicht schreibe, verliere ich den Faden zu mir. Ich werde stumm im Inneren. Ich fühle weniger klar. Ich denke weniger tief. Ich verschwimme.
Und irgendwann fängt man an, sich selbst fremd zu werden. Man lebt, ja. Aber man leuchtet nicht mehr. Nicht von innen. Schreiben ist für mich nie nur ein Mittel gewesen, um Geschichten zu erzählen. Es war immer auch ein Mittel, um mich selbst zu erkennen. Und wenn das fehlt, wird alles dumpfer. Die Welt verliert ihre Farbe. Und ich verliere das Interesse an ihr.
Nicht zu schreiben ist nicht Erholung. Es ist ein Schwebezustand, der in den Abgrund führen kann, in den man dann immer mehr hineingezogen wird. Obwohl man jeden Tag alles Mögliche tut, nicht wirklich leidet. Nicht so leidet, wie man leidet, wenn man Schmerzen hat. Körperliche Schmerzen.
Nein, so ist es nicht. Es ist unbeschreiblich. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Schreiben ist Leben und Leben ist Schreiben. Für mich ist das so sehr miteinander verbunden, dass ich das eine nicht ohne das andere tun kann. Nicht tun will. Es gehört einfach zueinander.
Schreiben ist eine Leidenschaft, die nie vergeht, weil sie von innen heraus kommt. Man lernt als Kind zu lesen und zu schreiben, das ist ein äußerlicher Einfluss. Aber was Schreiben (und auch Lesen) in einem auslöst, das hängt davon ab, worauf dieser äußere Einfluss im eigenen Inneren trifft. Was für ein Echo die Buchstaben, die man zu malen lernt, erzeugen. Was für eine Bedeutung man ihnen gibt.
Nicht schreiben zu können ist wie nicht zu atmen, obwohl man atmet. Die Funktion des Atmens wird erfüllt, man saugt Luft in seine Lungen, damit der Körper Sauerstoff bekommt, aber die Luft hat keinen Geruch, keine Bedeutung, keinen Sinn. Sie ist einfach nur da, damit sie da ist.
Je mehr ich dazu schreibe, desto mehr merke ich, es ist unerklärlich. Ich lebe nicht, wenn ich nicht schreibe, und bevor ich in Rente gehen wollte, hatte ich tatsächlich das Gefühl.
Aber jetzt schreibe ich wieder. Und das heißt, ich lebe wieder. Ein neuer Roman für nächstes Jahr ist in Arbeit.
Zum Schluss hatte ich doch noch Glück. 🍀