Gestern habe ich bei meinem neuen Roman die 40.000 Wörter erreicht, und das ist für mich immer ein großer Meilenstein. In den letzten drei Tagen habe ich über 10.000 Wörter geschrieben. Bei den el!es-Romanen streben wir im Großen und Ganzen so ungefähr 60.000 Wörter an, sodass 40.000 zwei Drittel davon sind. Das gibt ein gutes Gefühl, dass der Roman nun weit über die Hälfte fertig ist.

Je länger ich schreibe, desto mehr fällt mir auch zu den Figuren ein, da ich mir das ja selten im Voraus überlege. Es entwickelt sich aus der Geschichte heraus. Es sei denn, ich versuche, mich nach so etwas wie den Ideen von Gwen Hayes zu richten. Das habe ich das eine oder andere Mal versucht, aber es liegt mir nicht so ganz.

Mehrere Perspektiven sind manchmal ganz praktisch (das Buch ist dann definitiv schneller voll, weil man gewisse Dinge aus beiden Perspektiven beschreiben muss statt nur aus einer 😎), aber meine eigene Art zu schreiben geht doch immer von nur einer Perspektive aus. Das fällt mir leichter. Dadurch identifiziere ich mich wirklich mit der Hauptfigur, während ich mich bei mehreren Perspektiven mit mehreren Personen identifizieren muss, die auch noch sehr unterschiedlich sein sollen. Das hat etwas von multipler Persönlichkeit. 😂

Natürlich ist man als Schriftstellerin immer eine multiple Persönlichkeit, sonst wäre ja jedes Buch gleich, jede Figur gleich, jede Geschichte gleich, weil die Figuren immer gleich reagieren, und das wäre sehr langweilig. Aber es ist ein Unterschied, ob man in einem Buch eine Figur verkörpert und dann im nächsten Buch wieder eine andere oder mehrere im selben Buch.

Da ich mir wie üblich nicht so viele Gedanken über die zweite Hauptfigur gemacht hatte wie über die erste, kamen mir beim Schreiben jetzt besonders viele Gedanken zu der zweiten Hauptfigur, die ich mir noch nicht so genau ausgedacht hatte. Da fielen mir auf einmal so viele Sachen ein, dass ich eine Nacht sogar noch um halb drei Uhr nachts Sachen zu ihr aufgeschrieben habe, weil ich sonst nicht hätte schlafen können. 😉

Ihr Leben entfaltet sich auf einmal vor mir wie ein Buch, bei dem ich dauernd eine neue Seite aufschlage und neue Dinge entdecke. Daraus ergeben sich wieder Dinge, bei denen ich sogar zurückblättern muss, weil es sich auf etwas in ihrer Vergangenheit bezieht, das ich mir aber auch erst noch richtig ausdenken muss, weil ich bisher nichts davon wusste.

Wer im Voraus alles aufschreibt, was in einem Buch passieren soll, auch alle möglichen Informationen zu den Figuren – zu allen Figuren –, für den oder die wird das wahrscheinlich eine Horrorvorstellung sein. Aber für mich ist es wie eine Art Kaleidoskop, bei dem ich immer wieder etwas Neues entdecke, sobald ich es drehe. Jedes Mal setzt sich das Bild neu und anders zusammen. Und man weiß nie so genau, wie es sich zusammensetzt, wie es dann aussieht. Man lässt sich überraschen. So geht es mir auch, wenn ich eine Geschichte schreibe.

Diesmal ist die Geschichte allerdings sowieso etwas anders, weil ich wie auch schon zuvor ältere Frauen als Protagonistinnen gewählt habe. Da geht es nicht mehr um die erste Liebe, erste Gefühle, den eventuell gemeinsamen Start ins Leben. Beide Protagonistinnen haben schon einiges an Leben hinter sich. Allerdings sehr unterschiedliche Leben.

Das ist immer das Spannende daran. Da sich die beiden voneinander unterscheiden müssen, kann ich mir Lebensläufe ausdenken, die für mich beispielsweise nie in Frage gekommen wären, die ich mir nie gewünscht hätte. Dennoch ist es spannend, so ein Leben nachzuvollziehen, auch wenn ich mir selbst dabei denke: Wie kann man so ein Leben führen, wie kann man so lange dabeibleiben, ohne etwas ändern zu wollen?

Die Änderung tritt dann in einem Buch wie meinem ein. 😏 Da muss sich eine oder müssen sich beide für etwas Neues entscheiden. Was in späteren Jahren nicht mehr so einfach ist wie in jungen, wenn man das ganze Leben noch vor sich hat. Ist man schon älter, hat man einen Beruf, den man nicht mehr einfach so ändern kann oder möchte, Verpflichtungen, muss eventuell an einem Ort bleiben, kann nicht alles auf den Kopf stellen.

Wenn dann zwei sehr unterschiedliche Leben aufeinanderprallen, fragt es sich, welche von beiden Protagonistinnen ist zu den größeren Kompromissen bereit? Kann es überhaupt etwas werden, wenn beide das Leben, in dem sie sich schon sehr lange eingerichtet haben, behalten wollen? Was ist wichtiger: das zu behalten, was man schon hat, oder sich auf etwas Neues einzulassen, von dem man noch nicht weiß, wie es ausgehen wird? Und bei dem man nicht mehr Jahre und Jahrzehnte Zeit hat wie ein junger Mensch, um auszuprobieren, ob es das Richtige ist.

Das sind Fragen, die sich auch im richtigen Leben stellen, und ich denke, das macht eine Geschichte, die Interesse erweckt, aus. Dass sie sich im Umfeld des realen Lebens bewegt und uns dadurch auf einer persönlichen Ebene anspricht. Weil wir auch jeden Tag Entscheidungen treffen müssen, die unser zukünftiges Leben bestimmen. Die Entscheidungen sind andere, die Fragestellungen sind andere, aber oftmals sind es doch dieselben Gefühle, die auch in einem Buch beschrieben werden. Unsicherheit und Hingezogenheit zu etwas, das uns vielleicht nicht guttut, aber neugierig macht. Die Unwägbarkeiten des Lebens irgendwie auszubalancieren, die wir oft nicht so beeinflussen können, wie wir es gern hätten.

Ein Buch kann das alles zu einem glücklichen Ende bringen. Auch die Dinge, die im täglichen Leben vielleicht nicht gut ausgehen würden. In einem Buch kann man alles ausprobieren und damit durchkommen, unverletzt daraus hervorgehen.

Deshalb ist Bücherschreiben immer wieder interessant. Dort kann man sämtliche Risiken eingehen, die man im wirklichen Leben vielleicht nicht eingehen würde, weil man zu vernünftig dazu ist. Weil man sich den Ausgang schon vorstellen kann und das lieber nicht versucht.

In einem Buch kann man alles versuchen. Und sich trotz allen Risikos dabei wohlfühlen, weil es doch keine wirkliche Gefahr gibt. Aber man spürt das Kribbeln der Gefahr, das Kribbeln der Liebe, das Kribbeln der Erfüllung. Ohne die negativen Seiten.

Auch wenn ich manchmal beim Schreiben weine, wenn ich etwas sehr Trauriges beschreibe, ist es doch nicht dasselbe.

Mein zweite Hauptfigur jetzt im aktuellen, noch nicht fertigen Roman entwickelt sich aus einer sehr traurigen Geschichte heraus in eine glücklichere Geschichte hinein, weil man das in einem Buch eben machen kann. Und wie sie sich da heraus- und hineinentwickelt, darauf freue ich mich jetzt richtig. Ich freue mich darauf, das zu schreiben, obwohl ich noch gar nicht genau weiß, wie es ablaufen wird.