Es ist eine uralte Diskussion, und es gibt scheinbar keine Antwort darauf. Im Deutschen nennt man Leute, die plotten, Kopfschreiber. Und diejenigen, die es nicht tun, Bauchschreiber. Am Ergebnis kann man beide kaum je unterscheiden, doch der Prozess des Schreibens ist ein völlig anderer.

Ein Plot ist im Prinzip so eine Art erweiterte Inhaltsangabe. Das heißt, man legt von vornherein fest, was in jedem Kapitel oder auch in jeder Szene passieren soll. Bis zum Ende. Man schreibt das Buch also sozusagen schon einmal in Kurzform, bevor man es in Langform ausformuliert, mit allen Dialogen und Details.

Man könnte das ein bisschen mit der Stenografie vergleichen, die im Deutschen auch Kurzschrift heißt. Im Gegensatz zur Langschrift, die die in Buchstaben ausgeschriebenen Wörter und Sätze im Text darstellt, die jeder in der Schule lernt. In Steno lernt man Zeichen, die nur Teile eines Buchstabens oder mehr als einen Buchstaben darstellen, ganze Silben oder Wörter.

Eine Kollegin von uns, eine Autorin, hat dazu sehr schöne Videos gemacht: https://youtu.be/TG45RYKgT2Q Wer sich also dafür interessiert, kann dort einmal reinschauen. Früher war Steno sehr verbreitet, jede Sekretärin konnte es, auch Studenten, die bei Vorlesungen mitschreiben mussten, fanden es sehr nützlich. Heutzutage bekommt man alles digital oder man nimmt es als Audiodatei auf, aber ich kann mich noch sehr gut an den Stenoblock meiner Mutter erinnern.

Dennoch habe ich nie Steno gelernt, dafür das Tippen von Buchstaben in einen Computer, was nach den vielen Jahren, die ich es tue, ebenfalls so schnell geht wie Steno.

Leider ist einen Plot zu schreiben nicht ganz so einfach, denn im Gegensatz zu einem Diktat, das man mit Steno niederschreibt, wird einem die Geschichte nicht diktiert. Man muss sie sich erst einmal ausdenken.

Bis zu diesem Punkt sind Plotter und Nicht-Plotter gleich. Sich eine Geschichte auszudenken bedeutet, erst einmal eine Idee zu haben, die Figuren zu erfinden, sich Szenen mit ihnen vorzustellen, die die Idee entwickeln, und daraus eine Geschichte zu machen. Eventuell muss man auch noch Hintergrundinformationen recherchieren, die man für die Geschichte braucht.

Doch beim Recherchieren geht es schon los. Da scheiden sich bereits die Geister.

Plotterinnen recherchieren meist sehr viel im Voraus. Sie haben eine Idee, und dann versuchen sie, diese Idee mit Informationen zu untermauern, sich quasi ein Fundament zu schaffen, wie wenn man ein Haus baut.

Angenommen, eine Geschichte soll in Kanada spielen (weil wir jetzt gerade so etwas im Romanforum haben), dann wird erst einmal über Kanada recherchiert, über die Leute, das Wetter, die Landschaft, möglicherweise auch die historische Entwicklung oder was einem vielleicht sonst noch so in den Sinn kommt.

Im Gegensatz dazu fängt eine Nicht-Plotterin gleich an zu schreiben, kaum dass sie die Idee hat. Meistens hat man schon eine Figur und eine Szene im Kopf, irgendeinen Anfang, und dann legt man ohne groß nachzudenken los.

Deshalb fällt es Nicht-Plotterinnen oft leicht, Anfänge zu schreiben. Denn der Anfang ist immer schon da. Nicht aber die ganze Geschichte oder das Ende.

Um in dem Bild mit dem Haus zu bleiben: Wenn man nicht plottet, fängt man gleich mit der Haustür oder einem Zimmer oder der Treppe an, nicht unbedingt mit dem Fundament, auf dem das dann zum Schluss alles stehen soll. Das fügt man später während des Schreibens hinzu. Wenn man etwas wissen will, googelt man es schnell, wenn man an der Stelle ist, statt es im Voraus zusammenzusammeln.

Bei einem Haus wäre das absoluter Schwachsinn, denn man muss mit dem Fundament anfangen. Ohne das geht es einfach nicht. Man kann nicht einfach eine Tür oder ein Fenster oder einen ersten Stock in die Luft setzen.

Anders beim Schreiben. Man kann im Prinzip anfangen, wo man will. Mit dem Anfang, mit dem Ende, mit der Mitte. Mit irgendeiner Szene. Das ist völlig egal. Denn man kann zum Schluss alles wie Legoteile zusammensetzen, Szenen und Kapitel verschieben.

Ich könnte beispielsweise das Beat Sheet, von dem hier schon so viel die Rede war, nehmen und mit irgendeiner Szene anfangen, sogar mit Dark Night of the Soul. Warum nicht? Als allererste Szene schreibe ich den Punkt der größten Verzweiflung in der Geschichte. Das ist ziemlich kurz vor dem Ende, aber wenn mir diese Szene als erste einfällt, kann ich die durchaus hinschreiben, ohne einen Anfang oder alles, was davor passiert ist.

Wenn man keine Plotterin ist, würde man das jedoch vermutlich nicht machen. Man könnte es gar nicht. Weil man die Geschichte beim Schreiben plottet und somit erst dann wüsste, was in dieser Szene überhaupt passiert. Worauf die Verzweiflung beruht, wie weit die Beziehung der beiden Liebenden bis dahin gediehen ist und welche Konflikte sie bis hierhin hatten.

Als Bauchschreiberin plotte ich auch, aber ich plotte während des Schreibens, nicht vorher und nicht davon abgetrennt. Ich mache sozusagen zwei Sachen auf einmal, plotten und schreiben. Oder schreiben und dadurch plotten.

Das heißt also, die Frage ist gar nicht so sehr Plotten oder nicht, sondern es geht um die Art des Plottens. Plottet man vor dem Schreiben oder während des Schreibens?

Denn Plotten tun wir alle, nur auf unterschiedliche Weise.

 

 
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