Gestern unterhielten meine Frau und ich uns so, und da sagte sie, dass gestern, am 30. April, der Tag war, an dem das Internet – das »World Wide Web« WWW – dreißig Jahre alt geworden ist (Vor 30 Jahren – das World Wide Web wird unabhängig). Im Jahre 1993 nahm das seinen Anfang. Und dabei fiel mir ein, dass ich im Jahre 1993 angefangen habe, Romane zu schreiben.

Geschrieben hatte ich auch vorher schon, Gedichte, Essays, journalistische Artikel in meiner Zeit als Journalistin und natürlich Arbeiten für die Uni, aber ich hatte bis dahin noch keinen einzigen Roman geschrieben, noch nicht einmal eine Kurzgeschichte, die über einen kleinen Aufsatz in der Schule hinausging. Doch die »Unabhängigkeitserklärung des Internets« – wie das in dem oben verlinkten Artikel genannt wird – war auch meine Unabhängigkeitserklärung, wenn man das so sagen will.

Ich hatte im März des Jahres 1993 einen massiven Bandscheibenvorfall (nicht meinen ersten, den hatte ich schon mit elf Jahren), der mich sechs Wochen lang ans Bett fesselte. Damals war es noch nicht so üblich, dass man einen Laptop hatte, aber da ich seit 1989 in der IT-Abteilung einer Schweizer Versicherung arbeitete, war ich eine der ersten, die über die Firma einen bekamen. Die Laptops damals waren noch sehr schwer und unhandlich, der Akku hielt kaum einmal eine oder zwei Stunden, aber ein Laptop war ein Laptop. Bis dahin hatte ich nur immer mit der Hand geschrieben. Seitenlange Ergüsse in einer Nacht, alles mit der Hand, bis sie mir am Morgen so wehtat, dass ich sie kaum mehr bewegen konnte.

Das wollte ich vermeiden, weil mir ja schon der Rücken wehtat, also versuchte ich es mal mit dem Laptop, der damals tatsächlich noch eher ein „Schlepptop“ war. Im Bett, das ich kaum verlassen konnte, mit der Hand zu schreiben, hätte wesentlich mehr Aufwand erfordert. Dazu hätte ich so eine Art Bett-Tisch haben müssen, den man über das Bett schwenken konnte wie im Krankenhaus, aber so etwas hatte ich nicht.

Die ersten Tage hatte ich im Bett nur gelesen, in der Hoffnung, dass der Bandscheibenvorfall bald vorbei sein möge, aber leider wurde es von Tag zu Tag eher schlimmer als besser. Und meine ganzen Ariadne-Krimis und was ich sonst noch so am Bett stehen hatte, kannte ich schon auswendig. Sich einfach etwas Neues schicken zu lassen ging damals auch nicht, es gab noch kein Amazon, weder E-Books noch Webseiten, auf denen man etwas lesen konnte, nur gedruckte Bücher. Um mir ein Buch zu kaufen, hätte ich also in einen Buchladen gehen müssen. Dazu war ich nicht in der Lage.

Was blieb mir also anderes übrig als zu schreiben? So einen Ariadne-Krimi, das kann ich auch, dachte ich mir. Kann ja nicht so schwer sein. Also fing ich an, einen Lesbenkrimi zu schreiben, Computerspiele.

Vor allen Dingen deshalb, weil ich damals in der Computerabteilung dieser Versicherung arbeitete, nahm ich meinen Arbeitsalltag als Grundlage. Die Hauptperson des Buches war eine Computerspezialistin wie ich. In der Geschichte sollte sie dann jedoch noch zusätzlich so eine Art Miss Marple sein, die den Fall löste.

Später kam dann alles anders, aber das war meine Anfangsidee, die ich mit Feuereifer in meinen „Schlepptop“ tippte. Das entwickelte sich auch sehr gut – ich hatte ja den ganzen Tag Zeit und nichts anderes zu tun –, und irgendwann kam ich dann an die Stelle, wo die Prostituierte auftauchte, und blieb plötzlich stecken. Ich wollte mehr über sie wissen, mehr über sie schreiben als über die Hauptfigur.

So wurde es dann ein Liebesroman, und der hieß Taxi nach Paris. Computerspiele blieb liegen, bis ich es Jahre später als mein drittes Buch nach Taxi und Ich kämpfe um dich veröffentlichte.

Da sich das noch einige Jahre hinzog, gründete ich den el!es-Verlag erst im Jahr 1996, sodass wir dann 2021 dessen 25jähriges Bestehen als Jubiläum feiern konnten. Doch der Anfang lag früher, im Jahr 1993, und das wären jetzt schon 30 Jahre. 🤓

Es ist erstaunlich, wie die Zeit vergeht. Als ich damals mit dem x-ten Bandscheibenvorfall im Bett lag, hätte ich mir nicht vorstellen können, wie sich das entwickelt. Und dass ich gleichzeitig mit dem Internet angefangen habe, professionell zu schreiben, Romane zu schreiben, dass das Internet und ich uns gleichzeitig entwickeln würden, nachdem wir im Jahr 1993 unseren Anfang genommen hatten, das finde ich jetzt auf eine Art sehr lustig. 😄

Man könnte es als eine Art Geburtstag bezeichnen. Der zweite Geburtstag für mich, mein Geburtstag als (Roman-)Autorin – denn Autorin war ich ja in gewisser Weise schon als Journalistin gewesen, nur keine für fiktionale Geschichten –, und der erste Geburtstag des „Babys“ Internet, ohne das wir uns heute ein Leben gar nicht mehr vorstellen können. Wo wären wir heute, auch als Lesben, wenn es das Internet nicht gäbe?

Und wenn ich damals nicht, weil ich mit einem Bandscheibenvorfall im Bett lag, angefangen hätte, Computerspiele zu schreiben, was dann zu Taxi nach Paris führte, was dann wiederum zum el!es-Verlag führte, wo wäre die deutschsprachige lesbische Unterhaltungsliteratur? Lesbische Liebesromane? Gäbe es sie überhaupt?

Es ist natürlich müßig, darüber zu diskutieren, denn irgendwann hätte vermutlich irgendjemand ein Buch veröffentlicht, das den Anfang gemacht hätte. Nun war ich es eben mit Taxi nach Paris. Aber vermutlich hätte es noch ein paar Jahre länger gedauert, bis lesbische Liebesromane sich im deutschsprachigen Raum eigenständig entwickelt hätten, nicht nur als Übersetzungen aus dem Amerikanischen.

Das Internet hat sich ganz von selbst weiterentwickelt, bis es zu dem geworden ist, was es heute ist, und selbstverständlich nutzen es viel mehr Menschen als lesbische Liebesromane zu lesen. 😊 Aber es ist doch irgendwie bezeichnend, dass ich gerade damals damit angefangen habe, Romane zu schreiben, die für die damalige Zeit noch zu progressiv waren, als auch das Internet, das für viele zur damaligen Zeit noch viel zu progressiv war, „geboren“ wurde. Wir waren wohl beide unserer Zeit voraus. 😎

Taxi nach Paris wurde damals von den existierenden Frauenverlagen wie etwas sehr Sonderbares, sogar, wie einer dieser Verlage es formulierte, „Fragwürdiges“ betrachtet. (Man fragt sich schon, was für Omas das waren, die damals diese Frauenverlage betrieben haben. 😉) Und das Internet ebenso. In der Firma, in der ich damals arbeitete, glaubte niemand daran, dass das eine Zukunft haben würde. Nach langem Hin und Her wurde ein Mitarbeiter (ein einziger einzelner Mitarbeiter) dafür abgestellt, sich um eine Webseite für die Firma zu kümmern. Einer Firma mit 3.000 Mitarbeitern zum damaligen Zeitpunkt wohlgemerkt.

Als ich 1993 anfing, Romane zu schreiben, sah ich das für meine eigene Zukunft als Autorin ebenso, das muss ich zugeben. Eine einzelne Frau in einem gewaltigen, riesigen Meer. Ich hätte nie gedacht, dass das daraus werden würde, was es heute ist. Ein Verlag, der schon Jahrzehnte besteht und nicht nur meine Bücher, sondern auch die vieler anderer lesbischer Autorinnen veröffentlicht.

Verglichen mit dem Internet ist das nur ein kleines Sandkorn an einem großen Strand, aber ich muss sagen, ich bin stolz darauf, dass das Internet und ich als Autorin und dann auch Verlegerin am gleichen Tag im gleichen Jahr Geburtstag haben. Es sagt etwas aus über das, was sich in den letzten 30 Jahren getan hat. Was damals noch „fragwürdig“ war, ist heute Alltag. Es ist Alltag, das Internet zu nutzen, und es ist Alltag, ein el!es-Buch oder ein Buch von Ruth Gogoll zu lesen, einen lesbischen Liebesroman. Das stellt niemand mehr im Frage.

Das ist eine Freiheit und Unabhängigkeit, die man ruhig nutzen kann. 🥰