Heute ist kein Schreibtag, habe ich gerade festgestellt. Da Schreiben mein Beruf ist, setze ich mich jeden Morgen an meinen Schreibtisch, an meinen PC, und fange genauso an zu arbeiten wie jeder andere Mensch, der zu seinem Job geht. Aber im Gegensatz zu jedem anderen Menschen, der zu seinem Job geht, kann ich nicht jeden Tag arbeiten, und wenn ich noch so lange auf den Bildschirm starre. Die Muse muss mich erst einmal küssen. 😊

Möglicherweise ist das ein Unterschied zu Autorinnen und Autoren, die ihre Romane erst einmal entwerfen, jede Szene in ein paar Sätzen hinschreiben und dann zum Schluss ausarbeiten. Möglicherweise ist es für sie in der Phase, in der sie diese sogenannte Outline entwerfen, genauso. Das kann ich mir nicht so richtig vorstellen, da ich jeden Tag über die nächste Szene nachdenke, die ich schreiben will, ohne noch genau zu wissen, wohin die Geschichte mich führt.

Ich weiß von Agatha Christie, dass sie sagte, das Schreiben selbst erfordere für jeden ihrer Romane gerade einmal 14 Tage. So etwas Ähnliches hat auch Georges Simenon gesagt, der Autor der Maigret-Krimis. Man denkt dann Wow! 14 Tage! Da kann man ja theoretisch zwei Romane in einem Monat schreiben.

So ist das jedoch nicht gemeint. Was diese beiden und viele andere meinen, wenn sie so etwas sagen, ist, dass sie im Grunde genommen nur das hinschreiben, worüber sie lange nachgedacht haben. Agatha Christie beschrieb beispielsweise, dass sie ca. ein halbes Jahr pro Roman braucht, bis ihre Recherche und ihre Vorüberlegungen abgeschlossen sind. Danach erst kommt dann die Schreibphase (die Agatha Christie als den langweiligsten Teil der Arbeit bezeichnete 😎), in der sie die Geschichte so hinschreibt, wie sie sich sie ausgedacht hat.

Auch Georges Simenon hat sich ähnlich geäußert. Der langweiligste Teil, den er am liebsten jemand anderem überlassen würde, wäre das Hinschreiben. Er hat nicht alles so genau ausgearbeitet wie Christie, aber eine grobe Outline hat er auch gemacht. Erst wenn er die hatte, hat er angefangen zu schreiben. Da er (im Gegensatz zu Christie) ein absoluter Vielschreiber war, hat er auf diese Art tatsächlich einen Roman nach dem anderen heruntergerissen.

Dennoch kann man sich vorstellen, dass sogar er Tage hatte, die keine Schreibtage waren. Weil einfach keine Ideen kommen wollten oder weil das Gehirn, der Verstand sich weigerte, eins und eins zusammenzuzählen. Es ist wie ein Wort, das einem auf der Zunge liegt und das man doch nicht aussprechen kann.

Wie man an diesem Artikel sieht, ist man an einem solchen Tag oftmals durchaus in der Lage zu schreiben. Es ist nicht so, dass man die Fähigkeit zu schreiben verloren hätte. Man kann sich Sätze ausdenken, Gedanken verfolgen, Buchstaben, Silben und Wörter aneinanderfügen. Viele meiner Artikel im Forum und hier auf der Webseite, auch auf der el!es-Webseite, sind an solchen Tagen entstanden. Weil ich nicht schreiben konnte, aber unbedingt schreiben wollte. 😎 Niemand, der nicht schreibt, kann das verstehen, aber so ist es.

Schreiben ist für uns Schriftstellerinnen und Schriftsteller lebensnotwendig. Es ist wie Essen und Trinken. Wir können nicht darauf verzichten. Deshalb sind Tage, an denen wir nicht schreiben können, so schlimm. Man könnte sagen, es ist wie Verhungern und Verdursten. Und man kann nichts dagegen tun. Man kann sich nicht einfach etwas zu essen nehmen, weil man Hunger hat. Man muss das, was man essen will, erst einmal erfinden. Doch der Kopf weigert sich, das für uns zu tun, und wenn wir uns noch so sehr bemühen. Wir müssen warten, bis er den „Erfindungsmodus“ wieder einschaltet. Dann auf einmal geht das oft ganz leicht, womit wir uns vorher so herumgequält haben.

Es ist schwer, das Menschen verständlich zu machen, die nicht schreiben oder die nicht kreativ tätig sind, das habe ich schon oft bemerkt. Wenn ich solche Sätze lese wie „Einen Liebesroman schreiben, das kann doch jeder“, dann weiß ich sofort, dass der Mensch, der das sagt nicht schreibt. Und dass er ziemlich dumm ist. 😉 Oder vielleicht eher einfallslos und unkreativ. Phantasielos. Denn selbst wenn man nicht schreibt, sollte man sich vorstellen können, dass einen Roman egal welcher Art zu schreiben nicht unbedingt einfach ist. Und dass es eben nicht jeder kann. Sonst würde es ja jeder tun. Gerade jemand, der so etwas sagt, ist vermutlich nicht einmal in der Lage, auch nur eine kleine Geschichte zusammenzubringen.

Ja, heutzutage tun es sehr viele. Beziehungsweise mehr von dem, was geschrieben wird, wird auf die Menschheit losgelassen, weil jeder sich selbst veröffentlichen kann. Möglicherweise haben früher anteilmäßig genauso viele Menschen geschrieben oder sich am Schreiben versucht, nur hat es niemand erfahren, weil die Ergebnisse in irgendwelchen Schubladen verstaubt sind, nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben.

Das ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Schreiben eine Arbeit ist, eine Tätigkeit, die einen bestimmten Geisteszustand erfordert, damit man sie ausführen kann. Nicht eine bestimmte Intelligenz, noch nicht einmal eine bestimmte Vorbildung oder einen bestimmten Schulabschluss, eine bestimmte Ausbildung. Das ist in anderen Berufen erforderlich, nicht aber beim Schreiben. Das kann tatsächlich jeder machen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung, finanziellem Hintergrund, Hautfarbe oder was immer einem da noch an Unterscheidungsmerkmalen einfällt. Sich Geschichten ausdenken kann man sogar, wenn man noch nicht einmal schreiben kann, wenn man beispielsweise Analphabet ist (was absolut nichts mit Intelligenz zu tun hat) und sie vielleicht in sein Handy spricht, statt sie hinzuschreiben.

Und doch kann selbst ein Mensch, der nie Lesen und Schreiben gelernt hat, Schriftsteller oder Schriftstellerin sein und Tage haben, die keine Schreibtage sind. Das alles ist möglich. Weil es ein Geisteszustand ist und nicht das Abspulen einer Routine wie wenn ich am Fließband Autoteile zusammensetze. Wenn ich nicht gerade schwer körperlich krank bin, kann ich das jeden Tag tun, muss noch nicht einmal viel darüber nachdenken. Deshalb ist diese Art Arbeit auch so unmenschlich. Denn jeder Roboter kann das.

Viele Arbeiten auch in vielen Büros sind so. Man sitzt nicht morgens vor dem PC und denkt sich „Was könnte ich jetzt wohl tun? Was fällt mir heute ein?“, sondern man arbeitet irgendetwas „ab“. Eine vorgegebene Routine oder etwas, das irgendein/e Chef/in einem vorgibt. Oder Kunden, wenn man in einem Geschäft arbeitet, das irgendetwas verkauft oder eine Dienstleistung anbietet. Oder Patienten, wenn man Arzt oder Ärztin ist. Oder Mandanten, wenn man Anwalt oder Anwältin ist. Man muss das nicht selbst entscheiden und vor allem nicht erst einmal erfinden.

Das ist der springende Punkt: etwas zu erfinden, das vorher nicht da war. Selbst wenn man genau weiß, dass man das jetzt tun will (und tun muss), kann man es oft nicht tun, wenn der zündende Funke fehlt. Wie ein Auto, das nicht anspringt, obwohl man genau weiß, dass man den Schlüssel herumdrehen oder auf den Startknopf drücken muss. Dass man den Gang einlegen und Gas geben muss. Das kann man alles tun, und doch passiert nichts.

Bei einem Auto ist dann wahrscheinlich der Anlasser kaputt oder kein Benzin im Tank, aber so einfach ist es bei uns Menschen leider nicht. 😧 Man kann den Anlasser ersetzen oder Benzin nachfüllen, aber der Funke, der das Ganze dann in Gang bringt, muss in unserem Gehirn entstehen. Er muss in uns selbst entstehen, und das können wir nicht steuern.

Man kann sich durchaus zwingen, jeden Tag so und so viele Wörter zu schreiben – was sehr empfehlenswert ist –, aber das ist wie ein Auto, das im Leerlauf läuft und nicht vom Fleck kommt. Es kann den Motor am Laufen halten, damit er nicht verrostet, aber es bringt einen nirgendwo hin.

Na ja, nicht ganz nirgendwo. 😉 Ich habe jetzt hier gerade über 1200 Wörter geschrieben, und dadurch ist ein Artikel für meine Webseite entstanden, der sonst nicht entstanden wäre. Aber in den Romanen, die ich momentan schreibe (wie schon oft gesagt sind es meistens mehrere gleichzeitig), bin ich dadurch nicht ein Wort weitergekommen.

Es ist eben ein Nicht-Schreibtag heute, und damit muss ich leben. Morgen kann es schon wieder anders sein.

Aber jetzt gehe ich erst einmal frühstücken. Vielleicht reicht es ja, Benzin nachzufüllen. 😂